Interview mit Ulli Jentsch vom apabiz: "Der Geheimdienst war im Bilde"

Nötig ist kein NPD-Verbot, sondern eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung über Rechtsextremismus, sagt Ulli Jentsch vom apabiz.

46, freier Journalist, ist seit 20 Jahren Mitarbeiter des apabiz.

taz: Herr Jentsch, gerade erschüttert die aufgedeckte Mordserie von Thüringer Neonazis das Land. Hätten Sie so etwas für möglich gehalten?

Ulli Jentsch: In dieser Dimension hätte das sicher niemand. Eine wirkliche Überraschung ist es aber trotzdem nicht. Die Täter kamen aus neonazistischen Strukturen Ende der 90er, in denen immer wieder mit Waffen und Sprengstoffen hantiert wurde. Schon damals haben Experten vor rechtem Terror gewarnt. Nur wollten das wenige hören.

Wie groß, denken Sie, war der Unterstützerkreis des Trios?

Die paar Fäden, die man bisher kennt, zeigen, dass es Leute waren, mit denen die drei schon vor ihrem Untertauchen 1998 bekannt waren. Am Ende war es wohl eine Handvoll enge Kameradschaftsfreunde, die aber über bundesweite Kontakte verfügten. Das entspricht dem damals diskutierten Konzept des "führerlosen Widerstands".

Sicherheitsbehörden behaupten, nichts gewusst zu haben. Ist das glaubwürdig?

Nein. Im Fall der Jenaer Kameradschaftsstrukturen war der Inlandsgeheimdienst von Anfang an im Bilde. Und wie wir heute wissen, war er auch noch während der Mordserie beteiligt. Für mich ist dieser Geheimdienst eine Gefahr für die demokratische Kultur.

Könnte sich heute eine ähnliche Terrorzelle bilden?

Natürlich. Gerade der gewaltbereite Kreis der Autonomen Nationalisten kommt dafür jederzeit in Frage. Diese Leute terrorisieren heute schon Andersdenkende, befinden sich in einem "Krieg gegen ein Scheiß-System".

Was kennzeichnet den Rechtsextremismus in Berlin?

Im Vergleich zu anderen Bundesländern ist er strukturell recht schlecht aufgestellt. Die NPD plagen interne Querelen und eine schwache Personaldecke. Und das nicht parteigebundene Spektrum leidet unter der vergleichsweise starken Repression. Allein drei Kameradschaften wurden in Berlin seit 2005 verboten und fast alle Rechtsrock-Konzerte. Eine rechtsextreme Musikszene konnte sich hier nie etablierten und musste in andere Bundesländer ausweichen.

Ein Erfolg von SPD-Innensenator Ehrhart Körting?

Er hat seinen Job gemacht. Umso genauer muss man jetzt schauen, ob auch unter Rot-Schwarz Rechtsextremismus weiter offensiv und präventiv angegangen wird. Entscheidend aber ist, dass wir in Berlin eine breite Initiativenlandschaft aus Antifa und Zivilgesellschaft haben, die immer wieder den Finger in die Wunde legt und keine Ruhe gibt. Anders als in manch ländlichem Raum wird Neonazis hier das Terrain sehr, sehr eng gemacht.

Also keine Probleme?

Doch. Denn augenfällig ist, dass die organisierte Neonazi-Szene momentan überhaupt kein politisches Programm hat, sondern nur mit Einschüchterung zu punkten versucht. Erinnert sei an die wiederholten Sachbeschädigungen und Brandanschläge auf linke Einrichtungen und Parteibüros. Und die NPD fährt in Berlin weiter einen klaren NS-Kurs, ohne sich je bürgerlich angepasst zu haben.

Soll die NPD verboten werden?

Wir sind keine Freunde von Verboten. Es gibt einen Reflex in der deutschen Politik, beim Auftreten rechtsextremer Probleme immer gleich zu glauben, dies sei eine staatliche, ordnungspolitische Aufgabe. Und gerade jetzt lenkt jeder neue Verstoß für ein Verbot davon ab, dass die Bundesregierung ihren eigenen Inlandsgeheimdienst nicht im Griff hat. Natürlich kann man eine Partei verbieten, die offen angibt, das demokratische System abschaffen zu wollen. Nötig ist aber eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung darüber, was Phänomene wie die NPD begünstigt. Und das beginnt bei Einstellungen wie Rassismus und Antisemitismus, die auch weit außerhalb dieser Partei zu finden sind.

Wie lange muss es das apabiz noch geben?

Wir arbeiten ja daran, das Problem zu lösen. (lacht) Ich fürchte aber, dass uns das Thema noch eine ganze Weile verfolgen wird.

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