: Der Stoff, aus dem die DDR war
PREMIERE Das Deutsche Theater Berlin brachte Eugen Ruges Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ auf die Bühne – in der Regie von Stephan Kimmig
Im Foyer stand ein sichtlich gut gelaunter Eugen Ruge und bediente sich an den Häppchen. Fast dreieinhalb Stunden dauerte die Uraufführung seines preisgekrönten Romans „In Zeiten des abnehmenden Lichts“, inszeniert von Stephan Kimmig.
Die Bühnenfassung hatte Ruge selbst besorgt. Und so kam es auch nicht ganz überraschend, dass er mit Kimmigs Arbeit ganz zufrieden war. Allein den auf mehreren Zeit- und Handlungsebenen komponierten 440-seitigen Roman für einen Theaterabend zu verdichten, sagte der 1954 in Soswa geborene Autor, sei nicht gerade eine Kleinigkeit.
Ruges Roman fußt auf einer humorvoll ausgearbeiteten Familiengeschichte aus der früheren DDR. Es ist eine literarische Kritik, die das Kleinbürgerliche fest im Blick hat, ohne dabei in die Sprache eines antikommunistischen Abrechnungsgestus zu verfallen. Und sie hat starke biografische Bezüge.
Ruges Vater Wolfgang flüchtete 1933 vor den Nazis in die Sowjetunion. Der Idealist war dort dem stalinistischen Terror ausgesetzt und verbrachte unter brutalsten Bedingungen Jahre im Gulag. Vater Ruges erschütterndes Buch „Gelobtes Land. Meine Jahre in Stalins Sowjetunion“ brachte Sohn Eugen letztes Jahr neu heraus. Wie aus Opfern des Stalinismus angesehene Honecker-Bürger werden konnten, wie Traumatisierte die DDR mit schufen und innerlich lange vor 1989 wieder verließen, dies bildet also die komplexe Vorlage dieses Theaterabends.
Kimmig gelingt es vor allem im ersten Teil der Inszenierung, den Stoff sehr wirkungsvoll zu verdichten; das Aufeinanderprallen dreier Generationen mit verschiedenen Erfahrungshintergründen in pointierten Dialogen zu verdeutlichen. Die alten Internationalisten/Stalinisten Wilhelm (Christian Grashof) und Charlotte (Gabriele Heinz) mit mexikanischem Exilhintergrund; die mittlere und tragende Generation der DDR mit Kurt (Bernd Stempel), früher Arbeitslager, jetzt Professor, verheiratet mit der sowjetischen Ex-Partisanin Irina (Judith Hofmann); und der Sohn Alexander (Alexander Khuon), der vor der Zeitenwende 1989 zum Dissidenten wird.
Kimmig braucht nicht viel, um dies zunächst wirksam und unterhaltsam auf die Bühne zu bringen, die jeweiligen Generationen in ihren für sie zeittypischen Charakteren scharf gegeneinander zu kontrastieren. Ein mexikanischer Sänger (Markus Graf), russische Lieder, zwei schlichte, aber sehr schicke Schrankwände (Bühne: Katja Haß), aus denen sich je nach Bedarf Betten, Fernseher, Plattenspieler oder Mexiko-Devotionalien zaubern lassen, die Tiefe der Bühne ausgeleuchtet durch zahllose von der Decke baumelnde alte (DDR-authentische?) Glaskugel- und Schirmlampen.
Doch auch die immer wieder aufblitzende Schärfe von Ruges Vorlage sowie die zweifellos große Ansammlung von Könnern auf und hinter der Bühne vermögen nicht darüber hinwegzutäuschen, dass der zweite Teil dieser Inszenierung dramaturgisch die anfängliche Spannung nicht zu halten vermag und merkwürdig ausplätschert. Doch Eugen Ruge wollte sich die gute Laune an diesem Abend keinesfalls verderben lassen, und der Rezensent hat sich also eilends aus dem Staub gemacht. ANDREAS FANIZADEH