die wahrheit: Hermann Hesses Haus fürn Arsch

Kaum zu glauben: Nicht für jedes Zitat, das sich einem eingegraben hat, kann das digitale Weltnetz die entsprechende Quelle ausklamüsern...

Kaum zu glauben: Nicht für jedes Zitat, das sich einem eingegraben hat, kann das digitale Weltnetz die entsprechende Quelle ausklamüsern. Ein Bonmot verfolgt mich seit schätzungsweise einigen Jahrzehnten und geht so: "Alle sind wir angeschnallt in unsrer Glücksfabrik." Keiner Suchmaschine fällt dazu Passendes ein, obgleich ich selbstverständlich gewiefte Variationen einspeise.

Das Gedächtnis schiebt den Satz dem Autor und Filmemacher Herbert Achternbusch zu. In den Echtbüchern von ihm, die mir derzeit zur Verfügung stehen, lässt sich trotz mehrfacher Anläufe nichts dergleichen entdecken. Muss nichts bedeuten, stimmt. Habe ich den Satz unzuverlässig rekonstruiert? Oder dort in der kosmischen Weite des Hirnkastels eingelagert, wo die zuständigen Synapsen samt Fuchs und Hase einander auf ewig gute Nacht gesagt haben? Stammt es vielleicht doch aus dem eigenen Poesiealbum?

Bevor Sie nun einen Arzt oder Apotheker befragen, wie dem Angeschnalltsein zu entfliehen sei, rufe ich einen anderen Schriftsteller auf, womit ich zugleich den kleinkindhaften Triumph auskosten möchte, seiner zu gedenken, ehe der Name demnächst bei der feuilletonistischen Routinekontrolle auftaucht. Hermann Hesses 50. Todestag wird ausgiebig begangen werden, nehme ich an. In gänzlich anderem Zusammenhang stieß ich auf Verse von Hesse, die wahrscheinlich nicht der Nobelpreis-Verleihung an ihn zugrunde gelegen haben.

Recht furios beginnt er unter dem Titel "Ein Abend mit Doktor Ling" so: "Das Leben ist darum so beschissen / weil wir doch alle sterben müssen". Mit Doktor Ling meint Hesse übrigens seinen Psychotherapeuten Lang, einen Mitarbeiter von Carl Gustav Jung. Anstatt mehr aus dem biografischen Hintergrund dieser Reime hervorzukramen - Hesse verfasste sie vor beziehungsweise für den "Steppenwolf", veröffentlichte sie aber 1928 unter dem Titel "Krisis - ein Stück Tagebuch" in limitierter Auflage von 1.000 Exemplaren -, nähern wir uns den Schlusszeilen:

"Nein, wir wollen noch einen Liter saufen / und uns eine Brissago kaufen. / Mehr bietet dieses dumme Leben nicht. / Dann bauen wir aus unseren Depressionen / ein Haus, um darin zu wohnen, / indessen uns die Nachwelt Kränze flicht. / Dort sitzen wir auf unseren armen Ärschen / und bilden uns ein, die Welt zu beherrschen".

Ja, doch, Hesse versteht es, sich in Schwung, in Schwingungen zu bringen. Das sitzt, wenngleich es mitunter ein wenig zu wackeln scheint. Außerdem nimmt er die Jubelarien zum nächsten runden Gedenktag vorweg.

Unterdessen flog mir der schmale, wenn nicht seichte Verknüpfungsgedanke zu, die Fesselungen in jener Glücksfabrik könnten genauso gut in Hesses Haus aus Depressionen Platz finden. Heutzutage jedoch vielleicht auch auf einem dieser pervers anmutenden Crosstrainer wie dem Cardiostrong EX 30, auf dem die Kunden im Fitness-Studio meinem Büro gegenüber verbissen, ja autistisch wirkend auf der Stelle marschieren. Wer weiß das schon.

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kari

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