Honeckers Notizen: "Mach was draus!"

Für Erich Honecker war seine Frau Margot "Meine Kleine". Sie sorgt nun dafür, dass Tagebücher ihres Mannes erscheinen – und auch dank "Berliner Kurier" Bestseller werden.

Der an Leberkrebs erkrankte Häftling H. machte sich Notizen: "Letzte Aufzeichnungen" heißt das 192 Seiten starke Buch. Bild: dpa

Mitte letzter Woche sind Erich Honeckers Moabiter Tagebuchaufzeichnungen erschienen. Nein, nicht aus den Jahren zwischen 1935 und 1937, als die Gestapo den Kommunisten Honecker in jenem Berliner Gefängnis verhörte und folterte.

Die Rede ist vom Jahr 1992, als der entmachtete Staats- und Parteichef Honecker von Moskau nach Berlin ausgeflogen wurde, um ihm wegen des Schießbefehls an der innerdeutschen Grenze den Prozess zu machen.

Diesmal waren es 169 Tage, die Honecker in Moabit einsaß. In dieser Zeit machte der an Leberkrebs erkrankte Häftling H. sich Notizen, "Letzte Aufzeichnungen" heißt das 192 Seiten starke Buch, erschienen in der Edition Ost. "Für Margot" steht in der E.-H.-Handschrift darunter – jeder DDR-Bürger kannte diese markante Schrift.

"Meine Kleine"

Eben jene Margot ist es auch, die dafür gesorgt hat, dass das Tagebuch ihres Mannes kurz vor dessen 100. Geburtstag im August erscheint. Die 84-Jährige hat das Vorwort verfasst. Ihre ideologische Eingangstirade kann dennoch nicht verhindern, dass Leser überrascht ist vom mitunter unverhofft persönlichen Ton, den Erich Honecker anschlägt.

"Meine Kleine" nennt er seine Frau, die 1992 in Chile bei ihrer Tochter Sonja untergekommen ist. Schreibt von privaten Dingen wie Fotos von den Enkeln, um die er mit der Gefängnisverwaltung streitet. Und schildert, wie er dem wütenden, vielleicht auch nur schwerhörigen Ex-Stasi-Chef Erich Mielke beim Hofgang ein vergebliches "Rot Front!" zuruft.

In einer seltsam deformierten Funktionärssprache versucht Honecker, seine Gefühle auszudrücken, wenn er über Gorbatschow, den "Schuft", spricht oder wütend notiert: "Es geht nicht um meine Leber, sondern um die Verdammung der DDR."

Mit den Worten "Mach was draus!" hat die Honecker-Witwe das 400-Seiten-Konvolut dem Autor Frank Schumann in die Hand gedrückt. Das war im letzten Herbst, Schumann war nach Santiago de Chile gereist, um sie zu ihrer Zeit als Volksbildungsministerin zu interviewen.

Mach was draus. Schumann, der zugleich Verleger der Edition Ost ist, hat Margot Honeckers Rat befolgt. Er hat die Notizen eines körperlich sterbenden und historisch erledigten Achtzigjährigen dokumentiert und sorgfältig mit den unbedingt notwendigen Fußnoten versehen. Und dann hat er dem Berliner Kurier einen Vorabdruck angeboten.

Der Berliner Kurier

Was wirkt wie das verpatzte Verdealen von Texten einer historischen Figur an ein unbekanntes Printmedium, ist tatsächlich ein kluger Marketingschachzug. Denn der Berliner Kurier ist so etwas wie die Super-Illu im Tageszeitungsformat. LeserInnen sind meist Ostberliner, die man getrost in Marzahn und Köpenick, nicht aber in Pankow und Mitte verorten darf. 400.000 von ihnen erreicht der Kurier jeden Tag, 117.000 Mal wird er verkauft.

In mehreren Tranchen druckte das Blatt Auszüge aus Honeckers "Letzten Aufzeichnungen" vorab, inklusive einordnender Kommentare eines Historikers. Titelte am Tag vor der Buchpremiere mit: "In dieser Nacht habe ich wieder von dir, liebe Margot, geträumt".

Mach was draus, hat Margot zu Verleger Schumann gesagt. Der Exredakteur der Jungen Welt hat sich an den Rat gehalten. "Letzte Aufzeichnungen" steht am Sonntagabend auf Amazon-Bestseller-Platz 31.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.