Reality-Fernsehen: Die Logik der Apokalypse

Zwei US-amerikanische Reality-TV-Serien porträtieren Menschen, die sich für den Jüngsten Tag rüsten. Inklusive Doomsday-Nanny und Bunkerbauherren.

In Erwartung des Endes: Szene aus „Doomsday Preppers“. Bild: Sharp Entertainment

Schuldenkrise, der zwölfte Imam, Mayas, Sonnenstürme, Rechtsterroristen, genozidplanende Perser, israelische Zeloten – wenn es nach Hysterikern geht, schreiben wir das Jahr der Apokalypse. Nun hat auch das Reality-TV das Thema für sich entdeckt. In den USA sind diese Saison gleich zwei Untergangsserien angelaufen, „Doomsday Preppers“ und „Doomsday Bunkers“ – ausgerechnet bei den für zumindest semiseriöse Dokumentarfilme bekannten Sendern „National Geographic Channel“ und „Discovery Channel“. Wie schon im Kinofilm „Take Shelter“ von Jeff Nichols geht es dabei um Vorbereitungsmaßnahmen für den Jüngsten Tag – und das so ironiefrei, dass etwa die liberale New York Times „Verachtung für die Menschheit“ diagnostizierte.

Vor allem aber machen die beiden Serien klar, dass Reality-TV und Apokalypse perfekt zusammenpassen. Schließlich wird die Reality-TV zugrunde liegende Logik der Selektion und Selbstoptimierung durch den Tag des Jüngsten Gerichts auf die Spitze getrieben. Nach amerikanischer Eschatologie war schon immer klar, dass nur die Besten die Apokalypse überleben, ganz so, als wäre sie eine ins Kosmische übertragene Castingshow.

Das Konzept von „Doomsday Preppers“ ist puristisch. Ein Kamerateam besucht Amerikaner, die sich auf den Weltuntergang vorbereiten – Prepper ist die Kurzformel für Preparation. Dabei sichtet ein genreüblicher „Experte“ – eine Art Doomsday-Nanny – die Vorbereitungsmaßnahmen der Kandidaten. Am Ende jeder Episode errechnet er die Überlebenswahrscheinlichkeit und schlägt vor, wie man sie erhöhen könnte.

Die Serie lebt vor allem von den Hillbillys, die unter Drittweltbedingungen inmitten der reichsten Nation der Erde leben und als exotische Exponate ein immer beliebteres Sujet des Reality-TV werden. Man trifft auf ehemalige Militärs, die auf abgeschiedenen Landgütern ihrem Wahn frönen, auf Trucker, libertäre Hippies, bibeltreue Südstaatler mit Waffenfimmel, Öko-Farmer.

Erzeugte Miniaturdramen

Was die Vorbereitungsmaßnahmen so sehenswert macht, ist der darin zum Ausdruck kommende uramerikanische Sinn für Improvisation. Lebensmittel werden eingekocht, Selbstschussanlagen gebastelt und autarke Energiequellen ersonnen. Man kann beispielsweise bestaunen, wie aus Altfett Biodiesel destilliert wird, wie Knallgasgeneratoren funktionieren oder wie Samendepots angelegt werden, um die Erde nach dem Tag X wieder zu begrünen. Auch die Indoktrinierung des Nachwuchses steht auf dem Plan, deren Konfliktpotenzial unterhaltsamerweise groß ist. Die Prepper verlangen ihren Sprösslingen Dinge ab, wie sich ausschließlich von Insekten zu ernähren und an täglichen Schieß- und Evakuierungsübungen teilzunehmen. Eine Kindheit im Dschungelcamp.

Fantastisch dystopisch muten die Schauplätze der erzeugten Miniaturdramen an: eine an „Mad Max“ erinnernde Containerburg in der texanischen Pampa beispielsweise, die nicht nur fünfunddreißig Ziegen, sechzehn Gänse und vier Schweine beherbergt, sondern auch das Hauptquartier einer Miliz ist. Oder ein vierzehn Stockwerke ins Erdreich hineinragender Superbunker in Kansas, samt Bibliothek, Kino und Bambusboden für den anspruchsvollen Apokalyptiker.

„Doomsday Bunkers“ des Discovery Channels beschäftigt sich hauptsächlich mit solchen Trutzburgen gegen das Herannahen der Apokalypse. Die Kamera folgt dem untersetzten texanischen Bauunternehmer Scott Bales, dessen Firma Deep Earth Bunkers überall in den Vereinigten Staaten ebensolche baut: Einbruchssicher, feuerfest und wohnlich sollen sie nach Kundenwunsch sein und selbstverständlich auch in taktisch günstiger Lage, um dem schon in nächster Zukunft erwarteten marodierenden Pöbel eins mit der Pumpgun vor den Latz zu geben. Höhepunkt ist der laut Website der Firma seit der Sendung verstärkt angefragte Tsunami Pod – eine stählerne Kugel, in der man praktisch alles überleben kann.

Die wirtschaftliche Prepper-Selbsthilfegruppe

Die Firma Deep Earth Bunkers ist Paradebeispiel einer wachsenden Apokalypse-Industrie, auf die man auch in „Doomsday Preppers“ immer wieder trifft. Seuchenresistente Getreidesamen, Multifunktionswerkzeuge, Lebensmittelkonserven – Produkte von Paranoikern für Paranoiker. Die Prepper-Gemeinde ist auch eine wirtschaftliche Selbsthilfegruppe. Gerade für Arbeitslose ist die gemeinsame Vorbereitung auf den jüngsten Tag eine vergleichsweise lukrative Beschäftigungstherapie. Nicht zuletzt nehmen die Kandidaten bereitwillig an der Sendung teil, da dies neue Kunden für die von ihnen gefertigten Produkte verspricht.

Neben dem üblichen libertären Flügel der Tea Party gibt es auch politisch bedenklichere Protagonisten. Etwa eine Selbstverteidigungsgruppe namens 88 Tactical – zweimal die Acht, Neonazisprech für „Heil Hitler“, vergleichbar mit der deutschen Wehrsportgruppe Hoffmann. Doch die versammelten Waffennarren, schlicht Debilen und Misanthropen ernsthaft politisch einzuordnen, wäre ein Missverständnis. Ihre jeweils individuellen Endzeitszenarien, die sie mit glühenden Augen darlegen, sind nach dem rohen Freidenkertum der Hillbilly-Ideologie ersonnen. Es geht um den Einzelnen, sein Eigentum und sein aus dem Internet und aus Blockbustern selbst kollagiertes Weltbild.

Kaum zwei Prepper dürften auch nur in einem einzigen Punkt übereinstimmen. Von einer plötzlichen Vertauschung des Nord- und Südpols ist die Rede, von Pandemien, nuklearen Desastern, elektromagnetischen Attacken, Sonnenstürmen, dem schlagartigen Ansteigen der Meeresspiegel und dem Ausbruch des Super-Vulkans im Yellowstone Nationalpark, vom Kollaps der Finanzsysteme und der Nahrungsmittelversorgung. Vor allem aber ist klar: der Feind von morgen, wenn der Gesellschaftsvertrag gebrochen sein wird, ist niemand anderes als der freundliche Nachbar von heute – die Knappheit werde ihn gerade dann in einen Zombie verwandeln, wenn er seine Vorbereitungen nicht treffe, heißt es immer wieder.

Realistischer betrachtet sind es die Traumata von 9/11 und 2008, die hier ausagiert werden. Viele der vorgeführten Prepper haben in der Finanzkrise alles – vor allem eine sinnvolle Beschäftigung – verloren, sind Kriegsheimkehrer oder beides. Ihr amerikanischer Traum endet vor der Tür der eigenen Wohnung – sofern sie noch eine haben. Hinter dieser Demarkationslinie beginnt das Feindesland.

Es ergibt sich das Bild einer Gesellschaft, die nichts mehr eint, die aus abgekapselten, paranoiden Monaden besteht, die freiwillig zurück in die Steinzeit regredieren. Schaurig-schön wird das Ende unserer Welt denkbar, die trotz aller Technik vor allem auf dem Vertrauen fußt, das Einzelne ihresgleichen und Institutionen entgegenzubringen bereit sind. In dem Land mit dem größten Waffenarsenal in Privatbesitz ergibt sich schnell das Szenario eines nahenden Bürgerkriegs.

Paranoide Monaden

Doch obwohl in diesen Sendungen immer wieder erwähnt wird, wie viele Amerikaner sich „laut Umfragen“ tatsächlich vor dem Weltuntergang fürchten, geht es natürlich nicht um Dokumentation. Wie viel der Freakshow inszeniert ist, bleibt offen und ist letztlich auch uninteressant. Reality-TV bildet die Wirklichkeit nicht ab, es erzeugt sie. Nach Wohngemeinschaften und Castings aller Art stellt der Weltuntergang das notwendig nächste Thema des Genres dar. Die Logik der Apokalypse – die Logik der ungehinderten Selektion, der Verteilungskämpfe in einer Art Naturzustand – ist ebenjene, der Reality-TV schon lange frönt, das mittlerweile Castingshows für jede nur denkbare Profession, vom Immobilienmakler bis zum Modedesigner, beinhaltet.

Die Castingshow für die Apokalypse ist nun die große Show der Krise, in der die einzige realistische Aussicht für viele diejenige auf das totale Nichts zu sein scheint: Sie stiftet Sinn, indem sie die Perspektive auf eine Art Jenseits hin öffnet, in dem der amerikanische Traum wieder Wirklichkeit werden könnte – wo man gewinnen könnte, wenn man sich aus eigener Kraft auf das Kommende vorbereitet. Die Unbill des Jüngsten Tages mag vielen einfacher zu bewältigen scheinen als die Abbezahlung der nächsten Eigenheim-Rate.

Letztlich hat der Mythos der Apokalypse auch heute noch die stabilisierende Funktion, die er schon zu Zeiten der antiken und mittelalterlichen Eschatologen hatte, als sich der Leibeigene durch den Tag retten konnte, indem er über die heilsgeschichtliche Auslöschung des Besitzes seines Herrn fantasierte – damals wie heute wäre das die Voraussetzung echter Chancengleichheit. Indem „Doomsday Preppers“ und „Doomsday Bunkers“ diesen uralten, die tatsächliche Ungleichheit relativierenden Konjunktiv im paradigmatischen Genre des Reality-TV verhandeln, garantieren sie zumindest im Vorgriff, dass der kapitalistische Mythos der amerikanischen Gegenwartskultur, nach dem jeder seines Glückes Schmied ist, auch noch das Ende der Welt überlebt.

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