Verwirrende Fotos: Verschmitzte Kopftuchdebatte auf Dänisch

Die Fotografin Trine Søndergaard, die derzeit auf Föhr und in Flensburg ausstellt, hat Frauen mit afrikanisch wirkendem Kopfputz porträtiert. Sie kommen aber aus Fanø. Dort trugen Bäuerinnen im 19. Jahrhundert Kopftücher gegen den Sturm.

Schiffbruch, touristisch niedlich: "La Méduse" von Yinko Shonibare. Bild: Museum Westküste

WYK AUF FÖHR/FLENSBURG taz | „Und hier zeigen wir, wie wir Schiffbruch erlitten haben“, sagt Lucas Haberkorn vom Team des Museums Kunst der Westküste auf Föhr, nachdem er die Fotoarbeit „La Méduse“ des britisch-nigerianischen Künstlers Yinko Shonibare erklärt hat. Mit Rückgriff auf das berühmte Bild „Das Floß der Medusa“ von Theodore Géricault thematisiert der Künstler die bis heute anhaltenden Folgen der Kolonialzeit: Statt festen Segelstoffs blähen sich leichte, bei Touristen sehr beliebte Batiktücher im Sturm.

Nun aber sollen wir leicht hinunter in einen letzten Raum schauen, durch schmale, lange Fenster hindurch: Wo sonst weitere Bilder hängen, sind große Tische aufgestellt, auf denen einzelne Bildern lagern, umgeben von Pinseln, weißen Stoffhandschuhen und Werkzeugen, offenbar, um sie zu restaurieren, unter dem Blick des Publikums.

Denn es hat gebrannt im Museum der Westküste auf Föhr, im Februar dieses Jahres war das. Ein Putzlappen, der unterhalb eines Bildes in einer Kiste lag, entzündete sich des Nachts von selbst und vernichtete das darüber hängende Werk. „Unsere Sprinkleranlagen haben bestens funktioniert, die Wehren aus allen Föhrer Orten waren im Nu hier und trugen alle bedrohten Bilder rechtzeitig in Sicherheit“, wie Haberkorn erzählt.

Allein der Ruß, der entstand, senkte sich auf die umliegenden Werke, setzte sich in den Rahmen fest und muss nun äußerst sorgsam nach und nach entfernt werden. Also kostet der Eintritt derzeit nur die Hälfte, eine Ausstellung wurde abgesagt, aber das Museumsteam hat sich von dem Schock längst erholt und empfängt mit fast schon gewohnter Freundlichkeit die Besucher – wie an diesem Nachmittag, wo Haberkorn eine mehr als gut frequentierte Führung anbietet.

Vorbei geht es so an einer Skulptur von Peter Rösel, einer Palme, gefertigt aus einer Polizistenuniform. Vorbei an dem klugen Video „Mermaids“ von Ute Behrend, wo zu Meeresgeräusche junge Frauen für einen fiktiven Contest echte Sehnsuchtslieder singen.

Doch der eigentliche Höhepunkt des Hauses ist derzeit die Serie „Strude“ der dänischen Fotografin Trine Søndergaard. Sie zeigt in einem recht dunklen Kabinett Portraits von sitzenden Frauen verschiedenen Alters, deren Kopf, deren Haar, deren Gesicht zuweilen komplett verhüllt ist. Mal sind Stoffbahnen kunstvoll ineinander geflochten, mal spannt sich eine Borte entlang der Stirn; Anleihen bei der niederländischen Malerei werden durch die Art der Inszenierung, aber auch der Ausleuchtung nahe gelegt.

Und die porträtierten Frauen: Kommen sie aus der Wüste? Es mag so scheinen, aber die Bilder sind auf der dänischen Insel Fanø entstanden. Die liegt gar nicht so weit weg: eine besonders bei deutschen Familien beliebte Strandinsel, die etwas von Sylt hat, nur viel, viel netter, auch weil die Leute dort nicht so überdreht sind. Und dort – auf Fanø – trugen die Frauen bei der Feldarbeit bis etwa um 1900 eng anliegende Kopftücher und auch Gesichtsmasken: um sich vor den Einflüssen der Sonne, der Salzluft und des harten Seewindes zu schützen.

Die Fotokünstlerin Trine Søndergaard konzipierte und realisierte diese Serie, als sich die Kopftuchdebatte in Dänemark unter dem wachsenden Druck der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei zu neuen Höhenflügen aufschwang. Die Bilder sind aber nicht als ein purer ironischer Kommentar zu lesen, sondern vielmehr als grundlegender Hinweis auf die Schwierigkeit und manchmal auch Unmöglichkeit, die Zeichen und Zuweisungen, die Kleidung immer enthält, zu lesen, falls einem das nötige Wissen fehlt.

Auch auf Föhr, wo das Museum steht, gab es übrigens Zeiten, da waren die Gesichter der Frauen während des Arbeitens verhüllt. Und auch auf Föhr ist die Tracht – wie auf Fanø – inzwischen ein gern gesehenes Utensil einer irgendwie idyllischen, weil vergangenen Zeit, deren genaueren Umstände, Konflikte, Chancen und Möglichkeiten aufzudecken weder die Einheimischen noch die Sommergäste sonderliches Interesse haben: „Wir sehen dann die Frauen in der traditionellen friesischen Hochzeitstracht, die wir irgendwie ’schön‘ finden, aber wir sehen die Frauen nicht in ihrer Arbeitstracht, die uns wahrscheinlich zu ganz anderen, vielleicht auch weniger angenehmen Fragen führen würde“, sagt Haberkorn.

Nachdem das Föhrer Kunstmusem in den zwei Jahren seines Bestehens moderne Kunst an die Westküste gebracht hat, könnte sie somit ein neues Themenfeld beackern: die Macht touristischer Mythen, zu denen nicht zuletzt der sommerliche Trachtenschmu gehört.

Wer an Trine Søndergaard und ihrer Fotokunst Gefallen findet und wer daher mehr von ihr sehen will, der hat nun einen längeren Weg vor sich: Mit dem Bus geht es zurück zum Hafen in Wyk, dort per Fähre wieder rüber aufs Festland und dann mit dem Schienenbus weiter zu Deutschlands unwirtlichstem Bahnhof – dem in Niebüll. Aber von dort fährt der Nahverkehrszug nach Jülbek, wo es heißt: Umsteigen in den Zug nach Flensburg.

Okay, das ist umständlich und dauert, aber in Flensburg angekommen und den Museumsberg erklommen, von wo aus nun – nach der Nordsee – die Ostsee zu entdecken ist, warten weitere Werke Trine Søndergaards: Denn sie ist eine von 14 dänischen Fotografen und Fotografinnen, die involviert sind in das mehrjährige Fotoprojekt „Orte – Dänemark im Wandel der Zeit“.

Das Projekt thematisiert die Fragwürdigkeit unseres Landschaftsbegriffs ebenso wie die Präsenz von Orten, die durch ihre tägliche Anwesenheit längst den Charakter von etwas Natürlichem ausstrahlen: Joakim Eskildsen, der durch sein europaweites Fotoprojekt „The Roma Journeys“ recht bekannt geworden ist, ist nach Dänemark zurück gekommen und fragt, inwiefern private Landschaftsidyllen zum eigenen „Zuhause“ gehören, Kinder vor dunklen Wolkenballen mit Regenbogen inklusive.

Nicolai Howalt zeigt in seiner 96-teiligen Serie „Grenze“ mal einstige Grenzübergänge an der immer wieder verlegten deutsch-dänischen Grenze, versucht Grenzmarkierungen in Luft und Wasser zu erkunden und möchte wissen, was sich dies- und jenseits einer Grenze ändert, wenn sie sich verschiebt.

Trine Søndergaard wiederum hat sich mit Renaturierungsprojekten beschäftigt, die derzeit überall in Europa hoch im Kurs sind; mit den Versuchen also, das, was einst durch Landwirtschaft wie durch Straßen, Gebäude und Gewerbe überbaut wurde, wieder in etwas der Wildnis Ähnliches zu überführen. So zeigt sie wiederhergestellte Seen oder widmet sich geplanten Waldanpflanzungen.

Exemplarisch dafür steht ihre Fotoarbeit „Neu angepflanzter Wald, Gundsømagle“: Ein sorgsam befestigter Wanderweg schlängelt sich sanft eine Anhöhe hinauf, gradlinig angelegt, wie dem Büro des Landschaftsarchitekten entsprungen, während es links und rechts ebenso aufgeräumt wie leblos aussieht. Denn der Wald muss erst noch angelegt werden – und wird dann hoffentlich in Ruhe gelassen.

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