Die gewiegte Tänzerin

NACH DIYARBAKIR Seit zwei Jahren bildet der Kunstraum Tanas in Berlin ein Forum für Kunst aus der Türkei. Die Ausstellung „Nicht einfach, die Welt in 90 Tagen zu retten“ überrascht mit witzigen Videos

Man sieht nackte Füße hin und her laufen in einer Geschwindigkeit, die von großem Druck zeugt

Sie sehen aus wie Don Quichotte und Sancho Pansa: Zwar tragen die beiden Männer, die auf einem Pferd und einem Esel durch felsige Landschaften und steinige Täler reiten, feine Anzüge und Krawatten, als wären sie zu einem Businesslunch in einer Metropole unterwegs. Ihre Fortbewegungsmittel und ihre Orientierungslosigkeit aber lassen daran zweifeln, ob sie ihr Ziel jemals erreichen: „Ist das die Straße zu Tate Modern?“, fragen sie die Hirten, die ihnen begegnen.

Nur sieben Minuten ist das Video „Road to Tate Modern“ lang, mit dem Sener Özmen, Literat, Kunstkritiker und bildender Künstler aus Diyarbakir, 2003 den Verdacht auf den Punkt brachte, in einem absurden Verhältnis zur westlichen Moderne zu stehen. Wer sie zum Sehnsuchtsort macht und doch seiner Herkunft aus Anatolien Rechnung tragen will, wird womöglich schnell zu einem Ritter von der traurigen Gestalt. Doch die ebenso witzige wie zugängliche Form, in der Özmen sich dieser Erfahrung stellt, zeigt ihn souverän gegenüber dem Problem, weit weg von Istanbul zum Provinzler abgestempelt zu werden.

Özmen ist einer von zehn türkischen und kurdischen Künstlern, die der Kurator René Block in der Ausstellung „Nicht einfach, die Welt in 90 Tagen zu retten“ im Kunstraum Tanas in Berlin vorstellt. Seit der Gründung von Tanas 2008 arbeitet Block mit Kuratoren und Künstler aus der Türkei zusammen. Diesmal zieht er das Fenster noch etwas weiter auf, von Istanbul in Richtung Diyarbakir.

Die Auseinandersetzung mit der Herkunft verbindet die ausgewählten Künstler ebenso wie die Medien Fotografie und Video. Was ihre Bilder oft anziehend macht, ist ein leichthändiger, ironischer Ton. Von Servet Kocyigit stammt ein Videoloop, in dem fünf Männer in Uniformen breitbeinig nebeneinanderstehen. Mit zehn Händen schaukeln sie eine Frau in einem Bauchtanzkostüm, das schellenbesetzt leise vor sich hin klimpert. Sie, die Männer, die sonst das Publikum stellen, werden somit zum Dienstleister der gewiegten Tänzerin.

Innere Aufrüstung

Aber auch die bloße Beobachtung kann bestechend sein und die Imagination anregen. Fikret Atays Video „Theorists“ entstand in einer Koranschule: Man sieht nackte Füße hin und her laufen in einer Geschwindigkeit und einem Rhythmus, die von großem Druck und Drang zu zeugen scheinen. Stimmen murmeln, die Gehenden lesen, wirbeln durch den Raum, ohne sich zu berühren, jeder wie gefangen in der eigenen Umlaufbahn. Es ist der Blick in eine Welt innerer Aufrüstung, ein Ritual der Ermächtigung, das Fikret Atay kommentarlos vor Augen führt.

Nicht zuletzt zeichnet Spannung einen Teil der kurzen Filme aus. „Things we count“ von Ahmet Ögüt scheint eine einzige lange Kamerafahrt über ein gigantisches Feld abgestellter Flugzeuge. Kein Mensch ist zu sehen, das weiche Licht eines frühen Morgens und die Silhouette einer nicht abreißenden Bergkette verlegen den Ort in ein geheimnisvolles Nirgendwo. Eine Stimme zählt die Maschinen, zählt sie in verschiedenen Sprachen, und ab 99 entsteht der Eindruck von schierer Unendlichkeit und Gefährlichkeit. Eine Macht, die nicht gesehen werden will, scheint sich hier zu verstecken.

Video und Fotografie waren schon oft die Medien, die einer neuen Künstlergeneration das Finden einer eigenen Sprache erlaubt haben. Vor mehr als zehn Jahren hat René Block dazu beigetragen, Videokünstlerinnen aus dem arabischen Raum bekannt zu machen, die so die Grenzen der Tradition übersprangen. Die zehn Bildermacher, die er jetzt vorstellt, gehören zwar drei Generationen an. Doch wie sie in ihren Bildern den Fallen einer identitären Zuschreibung entgehen, darin sprechen sie eine Sprache.

KATRIN BETTINA MÜLLER

■ Tanas in Berlin, bis 13. März