Kurskorrektur bei der WAZ: Vom Contentdesk zum Schützenfest

Jahrelang regierte die Reformwut bei der WAZ-Gruppe. Vieles wurde in die Essener Zentrale verlegt. Nun soll das Lokale wieder stärker werden – theoretisch.

Will wieder näher ran an die LeserInnen: die WAZ-Gruppe. Bild: dpa

Man kann sich die langen Gesichter vorstellen: Im April erreicht die Lokalredaktion Siegen der Westfälischen Rundschau (WR) endlich die ersehnte Nachricht ihrer Chefredaktion aus Dortmund: Bei der Zeitungsgruppe WAZ, zu der die WR gehört, wurde zur Abwechslung mal eine Lokaloffensive ausgerufen.

Auch die Siegener Redaktion kann sich auf zwei zusätzliche Kräfte freuen, die dringend nötig sind: Schließlich liefert die Siegener Redaktion gleich noch den Lokalteil für die ebenfalls zum WAZ-Konzern gehörende Westfalenpost (WP). Und beide WAZ-Titel führen im Siegerland einen kräftezehrenden Konkurrenzkampf mit der übermächtigen Siegener Zeitung, dem alteingesessenen konservativen Heimatblatt.

Doch sowohl in Siegen wie in Dortmund hatte man die Rechnung ohne Essen gemacht. Dort sitzt die WAZ-Zentrale, und dort versuchen die Geschäftsführer Manfred Braun und Christian Nienhaus die Quadratur des Kreises zu vollbringen: Nach Jahren der Zentralisierung und dem Schleifen der Lokalteile geht es nun volle Rolle rückwärts. Nur eben anders, als man denkt.

Rund eine Woche nach der frohen Botschaft aus Dortmund erreichte die Siegener Redaktion eine ganz andere Ansage: Bereits ab Juli soll die Westfalenpost die Redaktion im Siegerland übernehmen. Weil das angeblich billiger käme – von 300.000 Euro Einsparpotenzial ist die Rede. Nur ist die WP in Siegen gar nicht mehr mit einer eigenen Redaktion präsent, die wurde vor drei Jahren eingespart.

Ein Drittel Redaktionsstellen abgebaut

Das Streiflicht aus dem südlichen NRW ist symptomatisch für das Durcheinander bei Deutschlands drittgrößter Zeitungsgruppe. Vor drei Jahren lautete der Kurs noch „Volle Fahrt in die Zentralisierung“, ein Drittel der Redaktionsstellen – vor allem im Lokalen – wurde seitdem abgebaut; dafür durfte sich WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz in Essen seinen „Content Desk“ zusammenschrauben, der seit diesem Jahr nun alle NRW-Titel von der Neuen Rhein/Neuen Ruhr-Zeitung (NRZ) bis zur WP bespielt.

Der Qualität der überregionalen Berichtstattung hat das sogar hier und da geholfen – doch haben Reitz & Co. an ihren LeserInnen vorbeireformiert. Denn die goutierten den schleichenden Abbau der Lokalberichterstattung genauso wenig wie Reitz’ politisch eher konservativen neuen Kurs.

Der wurde schon weit vor den Landtagswahlen am vergangenen Sonntag über Bord geworfen. „Reitz hat eingesehen, dass man gegen weite Teile der Redaktion und weite Teiler der Leser kein Blatt machen kann“, heißt es in der Essener Konzernzentrale – und weil nachgeschoben wird, der Chef sei da „schon lernfähig“, fragt man sich, wie viel Ironie in der Anmerkung eigentlich steckt.

Doch für Galgenhumor bleibt wenig Zeit. Denn jetzt muss alles wieder ganz schnell anders werden: Manfred Braun, 2008 eher unbemerkt vom Bauer-Verlag zur WAZ geholt, um das Zeitschriftengeschäft des Verlags neu aufzustellen, ist seit einem Jahr auch für die Zeitungen des Konzerns zuständig.

Kein Geld für neues Personal

„Braun hat seine Liebe zum Lokalen entdeckt“, sagt ein WAZler – also soll nun zurückverteilt werden in die Region, auch am Essener Content-Desk dürfen demnächst RedakteurInnen wieder ihren Koffer packen. Denn Geld ist auch keins mehr da, jedenfalls nicht für neues Personal. So hat es Günther Grotkamp, dessen Frau Petra 2011 die Mehrheit an der WAZ-Gruppe übernahm, verfügt.

Also steht die große Umverteilung an. Allein bei der WAZ sollen rund 35 RedakteurInnen wieder ins Lokale wechseln. All das wurde schon vor Monaten bekannt, entschieden ist aber noch nichts. „Die Umsetzung dauert viel zu lange“, sagt der Dortmunder Verlagsexperte Horst Röper, „da gibt es viel Wunschkonzert, aber kaum Konkretes. Das verunsichert die ganze Mannschaft.“

Nur scheint den Verlagsoberen selbst nicht klar zu sein, woher die nötigen Kräfte kommen sollen. „Das wirft ein miserables Bild auf die Konzernleitung“, sagt Röper. Die Strategie der letzten fünf Jahre bei einer der wichtigsten Regional-zeitungsgruppen Deutschlands wird so zum Trauerspiel.

Drastisches Sparprogramm

Erst setzt man allen Warnungen zum Trotz auf einen quasiüberregionalen Kurs und verprellt LeserInnen, die von ihrer Lokalzeitung in erster Linie nun mal qualifizierte Regional- und Lokalberichterstattung erwarten. Parallel peitscht der Konzern das drastischste Sparprogramm der Unternehmensgeschichte durch.

Und nun soll – bei sinkenden Auflagen und ohne neue Investitionen – das Rad der Zeit zurückgedreht werden. Wobei sich, siehe Siegen, die Einzeltitel auch noch gegenseitig auszustechen versuchen. Eine Investitionsankündigung gab es allerdings dieser Tage: Die WAZ-Gruppe möchte das Fußballfachblatt Reviersport übernehmen.

Vielleicht lässt sich so ja langfristig noch was in den hauseigenen Sportredaktionen einsparen.

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