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Archiv-Artikel

Hinter den Nebelschwaden

... und tief in der Grauzone: Der Frankfurter Anwalt Edgar Liebrucks hat ein Gemälde wiederbeschafft, das der Hamburger Kunsthalle gestohlen wurde. Die aber will das Lösegeld nicht zahlen. Derzeit wird der Kunstraub-Krimi vor Gericht verhandelt

von Andrea Mertes

Es ist die Nacht des 28. Juli 1994, als in der Frankfurter Kunsthalle Schirn Gemälde von unschätzbarem Wert gestohlen werden. Die Diebe schrauben drei Bilder von den Wänden, Leihgaben, deren Gesamt-Versicherungswert sich auf gute 35 Millionen Euro beläuft. Gestohlen werden zwei Werke von William Turner aus dem Besitz der Londoner Tate Gallery. Das dritte Bild stammt von Casper David Friedrich, trägt den Namen „Nebelschwaden“ und gehört der Hamburger Kunsthalle. Es ist der größte Kunstraub der Nachkriegsgeschichte. Mittlerweile sind die gestohlenen Bilder wieder zurück bei ihren Besitzern und der Mann, der die Bilder zurückholte, will jetzt die Auslagen dafür erstattet bekommen. Die Hamburger Kunsthalle aber will sie ihm nicht zahlen. Heute ist der zweite Tag der Beweisverhandlung.

Edgar Liebrucks heißt der Mann, der mit den Kunstdieben verhandelte und die Bilder wiederbeschaffte. Der Mitte 60-Jährige ist Anwalt und Notar, er betreibt eine Kanzlei in Frankfurt und war unter anderem Strafverteidiger im ersten deutschen Al-Kaida-Prozess. Er ist ein Mann mit einem „sehr, sehr guten Ruf in der Unterwelt“.

Das sagt jedenfalls „Rocky“. Rocky ist Sergeant Detective bei Scotland Yard und heißt in Wirklichkeit Jurek Rokoszynski, aber niemand nennt ihn so. Auch die Richter des Hamburger Landgerichts sprechen stets von „Rocky“, wenn sie versuchen, die Geschehnisse um diesen Kunstraub zu begreifen. Die Zivilkammer 3 taucht ab in eine Geschichte, die 1994 begann, und mit ihr zusammen lauschten am ersten Verhandlungstag vor einer Woche ein Dutzend Zuhörer. Diese erste Beweisverhandlung Liebrucks gegen Hamburger Kunsthalle sollte ein langes Sitzen werden. Die Geschichte ist kompliziert.

Eines Tages vor rund sechs Jahren tauchte Rocky in Liebrucks Büro auf. Er kam im Auftrag der Londoner Tate Gallery und war auf der Suche nach jemandem, der ihm helfen könnte, die geraubten Turner-Bilder wiederzubeschaffen. Liebrucks sah in der Sache eine juristische Herausforderung und willigte ein: „Die Bilder mussten der Öffentlichkeit wieder zurückgegeben werden und es musste einen legalen Weg dafür geben“, sagt der Sohn eines Philosophieprofessors und einer Bildhauerin über seine Motivation, warum er zum Mittler zwischen Hehlern und Museen wurde. Dass er dabei freie Hand hatte, ließ er sich von der Staatsanwaltschaft Frankfurt schriftlich zusichern.

Von Honorar spricht er nicht. Das hat er wohl auch nicht getan, als er im Januar 2003 mit Tim Kistenmacher, dem Geschäftsführer der Hamburger Kunsthalle, Kontakt aufnahm. Kistenmacher sitzt ihm an diesem ersten Verhandlungstag gegenüber am Ende eines langen Holztischs im Saal 367 des Ziviljustizgebäudes, zwischen den beiden die Anwälte. Sie könnten sich anschauen, von ihren Gesichtern ablesen, was der jeweils andere denkt, aber das tun sie nicht in den langen zehn Stunden, die die Verhandlung dauern wird. „Im Nachhinein wäre es gut gewesen, ich hätte Herrn Kistenmacher früher kennen gelernt, so wie Rocky“, sagt Liebrucks einmal. „Vertrauen ist die einzige Möglichkeit, das zu machen.“ Rocky Rokoszynski ist mittlerweile ein Freund geworden. Kistenmacher ist ein Fremder geblieben. Auch deshalb sitzt man heute hier.

Was der Frankfurter Anwalt an diesem Vormittag mit leiser, tonloser Stimme erzählt, klingt wie ein Samstagabend-Krimi. Bei konspirativen Treffen wird er in fremden Fahrzeugen in dunkle Waldgebiete gefahren, dort darf er die geraubten Bilder sehen. Das Lösegeld der Tate Gallery wird auf einem Zwischenkonto geparkt, zu dem nur der Ermittler Rocky Zugang hat. Auf einer Parkbank findet der Deal schließlich statt, sogar den Geldkoffer gibt es, der zum Austausch stehen gelassen wird. Das erste zurückgekaufte Bild legt Liebrucks nach der Übergabe in sein Auto, fährt es in sein Frankfurter Büro und hängt es dort an die Wand. Dann ruft er die Sachverständigen an, die im gegenüber gelegenen Hotel bereits warten.

Wenn sich alles so zugetragen hat, wie er es glaubhaft darstellt, ist er zu diesem Zeitpunkt bereits einmal in eine gewaltige finanzielle Vorlage getreten. Ein Verhalten, dass ihm in Hamburg zum Verhängnis werden soll. Zwei Millionen Mark hat er sich im Jahr 2000 geliehen, um den ersten Turner freizukaufen. Wer ihm das Geld gegeben hat, will er nicht sagen, nur eines sagt er mehrfach: „Ich bin heute noch in großen Schwierigkeiten“. Die Zinsen, die er für dieses geliehene Geld gezahlt hat, müssen immens gewesen sein. Die Belohnung der Tate für die Wiederbeschaffung – gut 350.000 Euro – ist dafür nach eigener Aussage draufgegangen.

Niemand versteht an diesem Tag, was den Juristen dazu trieb, für das Eigentum fremder Leute eine solche Eigeninitiative zu entwickeln. Und warum er sich in so große Gefahr begab: „Ich wusste, wenn ich da einen Fehler mache, dann bin ich tot.“

Er machte keinen Fehler, denn die drei Gemälde sind ja alle wieder zurück. Und doch ist es an einer Stelle ganz falsch gelaufen für Liebrucks. Vielleicht hätte er einfach den Mund halten sollen, als er bei der Begutachtung des zweiten Turners das Gemälde von Casper David Friedrich daneben lehnen sah. Vielleicht hätte es ihn einfach nicht interessieren sollen, dass ein bekanntes Kunstwerk für immer verschollen geht. Schließlich hatte die Eigentümerin, die Kunsthalle Hamburg ja nie den Kontakt zu ihm aufgenommen, ihn mit nichts beauftragt. Ja, die Kunsthalle – was hatte die eigentlich bisher getan, um an ihren Casper David Friedrich heranzukommen?

Am späten Nachmittag des Verhandlungstages ist auch das klar: Nichts hat die Kunsthalle unternommen, um das Gemälde wiederzubeschaffen. Die Versicherung hatte längst gezahlt, das Leben ging weiter. Es war zwei Tage vor Heilig Abend des Jahres 2002, als Tim Kistenmacher in der Zeitung las, dass die Turner-Bilder wieder im Besitz der Tate Gallery sind. Aber, „aufgrund der Weihnachtszeit war das nicht so das Gesprächsthema.“ Statt mal Rücksprache mit den Londoner Kollegen zu halten, beschloss er, die Angelegenheit aufs nächste Jahr zu vertagen.

Und dann rief Liebrucks an, am 9. Januar 2003. Das Telefonat dauerte nach der Erinnerung von Kistenmacher etwa 30 Sekunden. Es muss wie folgt abgelaufen sein. Liebrucks: „Guten Tag, ich könnte Ihnen helfen, die „Nebelschwaden“ von Casper David Friedrich wiederzubekommen.“ Kistenmacher: „Geben Sie mir mal Ihre Telefonnummer. Ich rufe Sie zurück.“

Tim Kistenmacher ist kein Mann für die Anklagebank. Hier zu sitzen, ist ihm sichtlich unangenehm. Mit rotem Kopf hat er dem Kläger fünf Stunden zugehört, sein Teint wird nicht besser, als er nun dem Richter seine Version der Geschichte erzählt. Dabei ist viel von Bedenkzeiten und von moralischen Bedenken die Rede. Davon hatte auch der Direktor der Kunsthalle, Professor Uwe M. Schneede, gesprochen, der zuvor als Zeuge berufen worden war: „Wir sind als Museum und staatliche Einrichtung nicht erpressbar.“ Das ist eine klare Haltung. Unklar ist dann allerdings, warum Kistenmacher im gleichen Januar einen schriftlichen Auftrag an Liebrucks unterschrieb, mit den Hehlern in Kontakt zu treten. Und warum er einen Mäzen fürs Lösegeld auftrieb, nachdem klar war, dass keine Gelder aus öffentlichen Kassen fließen würden.

250.000 Euro wollte dieser Mäzen hinblättern für die Auslöse, über diesen Punkt gibt es keinen Zweifel. Dass die Übergabe stattgefunden hat, auch das ist nicht zweifelhaft. Zweifelhaft bleibt dagegen, ob Liebrucks wieder eigenmächtig Geld vorgestreckt hat, nämlich 250.000 Euro. Natürlich gibt es keine Zeugen dafür. Das einzige, was es gibt, ist ein Fax vom 22. August 2003, unterschrieben von Tim Kistenmacher: „Mäzen abgesprungen.“

Zu diesem Zeitpunkt ist der Casper David Friedrich seit einem Monat in der Obhut Liebrucks. Er hat es von den Hehlern zurückgekauft, in Handtücher gewickelt und daheim im Klavier versteckt. Der Rechtsanwalt fühlt sich nun von der Kunsthalle betrogen, aber was hilft‘s? Die Hamburger wollen nichts mit ihm zu tun haben, der Staatsanwaltschaft Frankfurt ist die Sache zu heiß geworden, und er sitzt auf einem geklauten Bild.

Am 26. August 2003 trägt Liebrucks die „Nebelschwaden“ zurück zur Schirn, wo sie neun Jahre zuvor gestohlen wurden. Und die Hamburger Kunsthalle vermeldet wenig später fröhlich: „Am 27. August kehrt das Gemälde ‚Nebelschwaden‘ nach monatelangen Verhandlungen in die Kunsthalle zurück, ohne dass irgendwelche Gegenleistungen erbracht werden.“

So haben viele an dem Kunstraub profitiert: Die Diebe – von denen bis heute nicht alle gefasst sind – haben mehrere Millionen erbeutet. Die Versicherungen haben gezahlt – die Tate Gallery bekam das Fünffache des Betrages, den sie für die Lösegelder ausgab. Und die Bilder sind auch wieder am Platz.

Dass keines von ihnen ohne Lösegeld freigekommen ist, dürfte klar sein. Warum also zeigt sich die Kunsthalle nicht erkenntlich gegenüber dem Rechtsanwalt, der ihr geholfen hat? Vielleicht, weil es eine Begebenheit aus den Grauzonen des Lebens ist. Und Tim Kistenmacher, der vor Gericht soviel von Bedenkzeiten spricht, ist kein Mann für Grauzonen, das sieht er selbst so, „bedingt durch das bürgerliche Milieu, in dem ich mich bewege.“

Über den Anwalt, den er selbst beauftragt hat, sagt er: „Ich habe ihn immer als Interessenvertreter der anderen Seite verstanden.“ Die Hamburger Kunsthalle ist eine Stiftung des öffentlichen Rechts, ihr Vorgesetzter ist die Hamburger Kulturbehörde. In diesen Kreisen gibt es Dienstpläne und Bürozeiten, aber keine Grauzonen. Sollten Kistenmacher und seine Kollegen für die Zukunft mehr darüber lernen wollen – vielleicht sollten sie doch mal in London anrufen. Die waren froh, dass es einen wie Liebrucks gibt.