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Nachruf Ronny LoewyDer Hüter des Gedächtnisses

Ronny Loewys Name wird mit dem epochalen Gemeinschaftsprojekt „Cinematographie des Holocaust“ verbunden bleiben. Der Filmhistoriker verstarb am 9. August.

Ronny Loewy im Frühjahr 2011. Bild: Werner Lott

„Filmhistoriker Ronny Loewy gestorben“, meldeten nicht nur die deutschen Qualitätsfeuilletons, sondern auch Stern und Bild in der vergangenen Woche. Das Land hat sich verändert seit der Zeit, als wir uns 1966 im ersten Semester Soziologie in Frankfurt kennenlernten. Ronny machte mich bald mit seinem Vater bekannt, der im Archiv des Hessischen Rundfunks arbeitete und daheim an Büchern über Nazi- und Exilliteratur schrieb, die heute als Pionierarbeiten der Exilforschung gelten.

Wir wohnten im Walter-Kolb-Studentenheim am Beethovenplatz 4, der Hochburg des Frankfurter SDS, einen Steinwurf weit vom Institut für Sozialforschung, der Zitadelle der Kritischen Theorie. Abends gingen wir oft in das nicht weit entfernte Studentenhaus, um uns im Filmstudio die internationale Avantgardeproduktion anzuschauen, aber auch Dokus über „Kongo-Müller“ oder „Die Schlacht um Algier“.

Nie wären wir auf die Idee gekommen, Ronnys Ableben würde einst als Tod eines Filmhistorikers vermeldet werden. Es fehlen die Kategorien im System der intellektuellen Arbeitsteilung, die seiner Individualität gerecht werden.

Nach Adornos Tod 1969 und dem Ende der antiautoritären Protestbewegung zog eine Gruppe von Studenten, die dem 1970 bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Hans-Jürgen Krahl nahestanden, nach Hannover, um unter den Fittichen Oskar Negts an der Erneuerung der Kritischen Theorie zu arbeiten.

Er war ein großer Sammler

Jahrelang beschäftigten wir uns damit, die „Soziologischen Exkurse“, die in der nachfaschistischen Bundesrepublik als Medium soziologischer Aufklärung gedient hatten, neu zu schreiben. Die Protestbewegung der 60er Jahre war ein „abgeschlossenes Sammelgebiet“ geworden – eine Erfahrung, über die es nachzudenken galt.

Ronny Loewy selbst war ein großer Sammler. Über die Aktivitäten des Frankfurter SDS von 1966 bis 1970 hatte er ein richtiges Privatarchiv angelegt. Er liebte es zu archivieren und im Archivmaterial Neues zu entdecken. Seine Zimmer in den Wohngemeinschaften, in denen wir in Frankfurt und Hannover lebten, quollen schnell über – Bücher, Videokassetten, Papers, Kopien aller Art waren nur die äußeren Spuren eines guten Gedächtnisses und großen Erinnerungsvermögens.

Aber nicht nur der große Weltlauf erschien ihm wesentlich, auch die „Rüsche am Kleid“, von der Walter Benjamin spricht. Benjamin hat auch einem „Sammler“, wie Ronny es war, eine intellektuelle Physiognomie gegeben: „Er sprengt die Epoche aus der dinghaften geschichtlichen Kontinuität heraus, so auch das Leben aus der Epoche, so das Werk aus dem Lebenswerk.“

Sichtbar für eine größere Öffentlichkeit gelang Ronny Loewy 1980 ein solches Unternehmen mit der Wiederentdeckung des jiddischen Films. Er grub nicht nur die zum Teil verschollenen Filme aus, sondern er fand auch Autoren, die dieses Sujet bearbeiten konnten. Mithilfe des Goethe Instituts reiste Ronny mit dieser Ausstellung um die Welt und fand immer neue Freunde und Bekannte, die ihm zu lebendigen Quellen neuer Arbeiten wurden. Fast naturwüchsig ergab sich das filmische Exil als Arbeitsgebiet, das er bis zuletzt mit ungeheurer Akribie beackerte. Er wurde Kurator der 1987 der weltweit bekannten Ausstellung „Von Babelsberg nach Hollywood. Filmemigration aus Nazideutschland“.

Exil und Emigration

Exil und Emigration waren für Ronny Loewy Herzensangelegenheiten, die er unsentimental zu thematisieren wusste. Seine Eltern hatten die Nazis im Jischuw, dem jüdisch besiedelten Teil Palästinas, überlebt. Er selbst wurde 1946 in Tel Aviv geboren und kam nach der Suezkrise 1956 nach Frankfurt, als Ronnys Vater sich nach einer Möglichkeit umsah, mit geistiger Arbeit seine Familie zu ernähren.

Ronny fand seinen angemessenen Arbeitsplatz im 1984 entstandenen Deutschen Filminstitut und im 1995 gegründeten Frankfurter Fritz Bauer Institut, das auf Initiative seines jüngeren Bruders Hanno entstanden ist.

In diesem Rahmen realisierte Ronny das epochemachende Gemeinschaftsprojekt „Cinematographie des Holocaust“, das für immer mit seinem Namen verbunden sein wird. Jeder Millimeter Zelluloid, auf dem das Grauen der Massenvernichtung und seine unmittelbare Vorgeschichte behandelt werden, ist für die Nachwelt erfasst und demokratisch im Internet zugänglich gemacht.

Bis zuletzt hat Ronny Loewy sich weltweit um den Erhalt des filmischen Gedächtnisses bemüht. Er ließ sich von keinem technischen oder bürokratischen Hindernis abhalten, wenn es darum ging, der Furie des Verschwindens das Feld streitig zu machen. Ronny Loewy starb in der vergangenen Woche im Alter von 66 Jahren.

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