Buch über DVD und Blu-ray: Vielseitige Scheibe

Im Buch „Das flexible Kino“ befasst sich Filmwissenschaftler Jan Distelmeyer mit DVD und Blu-ray zwischen Ästhetik, Urheberrecht und Kapitalisierung.

Nicht mehr als ein Zwischenspiel in der Mediengeschichte. Bild: dpa

Bei der Abkürzung DVD denken die meisten Menschen vermutlich an „Digital Video Disc“. Das ist nur folgerichtig, schließlich handelt es sich um ein Nachfolgeprodukt zu den Videocassetten, diesen sperrigen Trägermedien, in deren Innenleben sich noch ein Streifen befand, wenn auch keiner mehr, auf dem man herummalen oder gar -kratzen hätte wollen, wie es manche Künstler mit Film getan haben. Doch das V in DVD steht für einen anderen Begriff: „versatile“.

Was das bedeutet, würden die meisten Kunden, die mit einer solchen Disc im Elektronik-Großmarkt zur Kasse gehen oder sie aus den Händen des Paketboten in Empfang nehmen, wohl nicht zu sagen wissen. Für den Medienwissenschaftler Jan Distelmeyer bietet sich hier ein erster Einstieg in das Thema seines Buchs „Das flexible Kino. Ästhetik und Dispositiv der DVD & Blu-ray“. Die Versatilität der DVD meint ja im Grunde vor allem, dass man mit den glänzenden Scheiben viel anfangen kann.

Das gilt sowohl für die Industrie wie für die Benutzer. Die Anbieter können alles Mögliche draufpacken, die Kunden können das mit der Fernbedienung ansteuern, auspacken, abspielen – oder sich einfach auf den Film konzentrieren. Mit ihren speziellen Möglichkeiten bietet die DVD ein Dispositiv – so lautet der einschlägige Fachbegriff, der Distelmeyer die Möglichkeit gibt, die zuerst einmal ja verführerische Versatilität auf ihre Implikationen hin zu untersuchen.

Der Titel des Buchs gibt die Richtung vor: Aus dem aus heutiger Sicht fast schon klassischen Dispositiv Kino wird eine Anordnung von Flexibilität, innerhalb deren ein Machtspiel stattfindet, dessen sich die Konsumenten nicht immer bewusst sind. Der augenscheinlichste Faktor dieses Spiels gibt sich in den Regionalcodes zu erkennen. Für die Produzenten von Blu-rays ist die Erde ein „Trizonesien“, bei herkömmlichen DVDs sind es sechs Zonen, dazu kommt eine internationale (Flugzeuge etc.) und eine noch nicht zugeordnete. Wenn wir eine DVD aus den USA mit nach Hause nehmen, um sie auf einem „geknackten“ Player abzuspielen, gehen wir flexibel mit der Flexibilisierung um, die DVDs nur zum Teil erlauben.

Distelmeyer begibt sich in seiner Untersuchung ganz konkret bis in die hintersten Winkel verschiedenster Ausgaben, zugleich begreift er die DVD aber essenziell als ein Medium des Vorspiels zu Filmen. Dafür wählt er den Begriff der Architektur, auch deswegen, weil er darin noch eine filmhistorische Spur erkennt, die vom richtigen Kino zum Datenträger führt: „Die nicht selten sensationelle Architektur der DVD führt also (…) zurück zur Gestaltung des Kinoraums und darin präsentierten Inszenierungen, die auf ihre Art etwas wie Immersion versprechen. Man könnte dies auch als remediation der szenischen Prologe der Stummfilmära begreifen.“

Involvierung in das interaktive Bild

Der andere Aspekt dieser Hinführung zum Film betrifft die Suggestionen, die viele DVDs von den Computerspielen aufgreifen. Diese versprechen ja eine vorgeblich viel stärkere Involvierung in das interaktive Bild als die herkömmlichen Filme, und entsprechend lassen sich auch viele DVD-Architekturen vom „Raumfetischismus“ der Games inspirieren. Eine antike Weltkarte im Menü zu Oliver Stones „Alexander“ ist da eine der nächstliegenden Lösungen, sie erlaubt es, mit wenigen Tastendrucken selbst noch einmal die Welt zu erobern – eine längst untergegangene, nun in simpler Grafik wiederauferstandene.

Dass das geht, liegt an der Digitalizität. Dieser dritte wesentliche Begriff in Distelmeyers Buch, übernommen von Tom Holert, der von „Globodigitalizität“ spricht, meint im Grunde nichts anderes als die medientechnische Version der Versatilität. Ohne Digitalizität keine Versatilität und umgekehrt. „Vielseitigkeit und Wandelbarkeit“ werden darin zum zentralen Versprechen, Interaktivität zum entscheidenden Hype. Themenpark, Videospiel und Blockbuster sind die Koordinaten der Digitalizität.

Jan Distelmeyer verfolgt diesen Gedankenstrang bis in die neuesten Debatten über Piraterie und Urheberrecht und den größeren Horizont eines allgemein auf Flexibilisierung drängenden Kapitalismus weiter. Dass die DVD nicht mehr als ein Zwischenspiel in der Mediengeschichte bleiben wird, passt dabei durchaus ins Bild. Denn es gehört nun einmal zu den Prinzipien der Versatilität, dass sie sich immer wieder gegen sich selbst wendet, indem sie sich neue Grundlagen gibt. Neue und weitere Machtspiele stehen also bevor.

Jan Distelmeyer: „Das flexible Kino. Ästhetik und Dispositiv der DVD & Blu-ray“. Bertz + Fischer Ver- lag, Berlin 2012, 288 Seiten, zahlreiche Fotos, 25 Euro

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.