Kommentar Gesetz zur Sterbehilfe: Es gibt keine Pflicht zu leben

Das Recht auf Selbstbestimmung muss verteidigt werden. Auch gegen Gesetzesvorschläge, die suggerieren, ein Recht auf den Tod sei ein Problem.

Die Bundesregierung hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, das die Selbstbestimmung am Lebensende einschränkt und in Frage stellt. Die angeblich liberale Partei FDP macht dabei mit. Ihre Justizministerin hat den Gesetzentwurf sogar selbst geschrieben, wenn auch auf Druck aus der Union.

Formal geht es um die gewerbliche Förderung der Selbsttötung. Nach allem was man weiß, gibt es bisher aber keine gewerbliche Beihilfe zur Selbsttötung in Deutschland. In der Schweiz ist sie zwar möglich, gelegentlich fahren deshalb kranke und lebensmüde Deutsche nach Zürich. Doch das werden sie auch weiterhin tun. Im Internet kann sich jeder über die dortige Suizidhilfs-Organisation Dignitas informieren.

Das Gesetz ist daher zunächst nichts anderes als ein symbolisches Gesetz, das in der juristischen Wirklichkeit nicht viel verändern wird. Was es dennoch bewirkt, ist eine Klimaveränderung. Plötzlich ist die Rede von Lücken in dem geplanten Gesetz – so als sei die Selbsttötung ein Verbrechen, das unter allen Umständen vermieden werden müsse und bei dem es keinerlei Strafbarkeitslücken für Helfer und Helfershelfer geben dürfe.

Das Gegenteil ist richtig. Die Selbsttötung ist in Deutschland straflos. Auch die Beihilfe zur Selbsttötung ist keine Straftat. Nur die gewerbliche Suizidhilfe wird jetzt erstmals strafbar – wenn das neue Gesetz tatsächlich kommt.

Es ist paradox, dass die konservativen Kritiker des Gesetzes so tun, als würde hier irgend etwas liberalisiert. Dabei stören sie sich nur daran, dass die Justizministerin ihren illiberalen Gesetzentwurf leicht entschärft hat, indem sie Verwandte und Freunde von der Strafdrohung ausnimmt, wenn sie einem Sterbewilligen die Telefonnummer von Dignitas mitteilen oder ihn gar in die Schweiz fahren.

Das Klima kippt schnell

Die Diskussion um das Gesetz zeigt, wie schnell das Klima kippen kann, wenn liberale Positionen aufgegeben werden. So wie heute gegen die Selbsttötung agitiert wird, könnte als nächstes die Selbstbestimmung von Patienten am Lebensende in Frage gestellt werden.

Noch kann jeder Patient selbst entscheiden, ob eine ärztliche Behandlung fortgeführt wird oder nicht. Und per Patientenverfügung kann er dies sogar für die Situation festlegen, dass er im Koma liegt. Doch vielleicht wird bald schon gewarnt, dass dieses Recht auf Selbstbestimmung gefährlich ist, dass es Patienten zur vorschnellen Aufgabe des Lebens verleiten könne.

Es darf aber keine Lebens- und Leidenspflicht geben. Niemand darf von Kirchen oder Ärzten gezwungen werden, seinen Verfall bis zum allerletzten Ende mitzuerleben. Es gehört zur Würde des Menschen, selbst zu entscheiden, wann er genug hat. Dieses Recht muss verteidigt werden – auch gegen Symbolgesetze, die den Gedanken salonfähig machen, dass Selbstbestimmung am Lebensende ein Problem sei.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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