ZEITUNG IM CAFÉ : Luxus und Dekor
Vor ein paar Tagen, mittags, in einem Café in Mitte. Große Fensterscheiben, ein paar klapprige Tische, eine kleine Bartheke, abgewetzte Sitzmöbel, Wohnzimmercharakter, Retro-Look. Das Café war gut besucht, das Publikum jung und chic. Jeder, wirklich jeder, außer mir, hatte einen Laptop vor sich stehen. Auf der Theke lagen die Tageszeitungen fein säuberlich sortiert, ganz so, als ob sie noch keiner berührt hätte. Ich nahm mir die taz und die Süddeutsche und war tatsächlich der Erste, der die Seiten durchblätterte.
Im Hintergrund lief leise Jazz, alles war sehr ruhig, nur meine Zeitung knisterte. Ich hatte das Gefühl, dass meine Zeitung Krach machte, dass sie irgendwie störte, beinahe wie ein Bauchgrummeln, das einem peinlich ist. Die jungen Leute starrten auf ihre Monitore, bearbeiteten nahezu geräuschlos ihre Tastaturen. Ich ging auf die Toilette, spickte zu den anderen Tischen: ein cooler Typ mit Vollbart schrieb eine E-Mail, eine Studentin las etwas über Rechtswissenschaften und das Mädchen hinten links sah sich Architekturzeichnungen an.
Bei der Rückkehr von der Toilette schnappte ich mir auch noch die Frankfurter Allgemeine Zeitung und den Tagesspiegel. Ich hatte alle Zeitungen ganz für mich alleine. Welch ein Luxus, dachte ich und fragte mich zugleich, weshalb sie die Zeitungen bestellen, wenn sie sowieso niemand liest. Vielleicht sind die Zeitungen, sinnierte ich weiter, so etwas wie die modernen Bücherregale, also eine quasi pseudointellektuelle Dekoration, ein Accessoire im Retro-Look, das die Inneneinrichtung mit einem Relikt aus längst vergangenen Tagen schmückt.
Manchmal kamen Gäste rein und fragten nach dem Passwort. Das Passwort lautete „whatsoever“, es kam mir passend vor. Irgendwann bezahlte ich, legte die Zeitungen wieder an ihren Platz am Rand der digitalen Welt und ging. ALEM GRABOVAC