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Archiv-Artikel

Die Stadt ist ein finstrer Wald

THEATER „Club Inferno“, neueste Inszenierung des Performancekollektivs Signa, zeitigt Spätfolgen beim Betrachter

VON ENRICO IPPOLITO

„Auf halbem Weg des Menschenlebens fand ich mich in einen finstern Wald verschlagen, weil ich vom rechten Weg mich abgewandt.“ So beginnt der erste Gesang von Dantes „Inferno“ – und auch die Performance von Signas „Club Inferno“. Das dänisch-österreichische Performancekollektiv besteht aus Signa Köstler, Arthur Köstler und Thomas Bo Nilsson. Für ihre Aktionen verlassen sie die Theaterbühne. Ihren „Club Inferno“ haben sie im Wedding eingerichtet.

Signa interpretieren Dantes „Inferno“ als Luxuskasino, geschaffen von Beatrice Godeux. Nach dem Tod der Mutter Beatrice verwandelte ihr Sohn Herbert den Club in einen Ort, wo sich Kunden und Angestellte zu Spielen treffen, die um Leben und Tod kreisen, so die Geschichte. Die Besucher gehen, wie Dante selbst, durch die Höllenkreise von Stolz, Neid, Zorn, Trägheit, Habgier, Völlerei und Wollust. Das Publikum muss in der Parallelwelt von Signa den Weg finden.

Männer, die Schlagsahne voneinander ablecken; halbnackte Frauen, die tanzen; Männer die sich gegenseitig anpissen; Frauen, die gepeitscht werden; Männer, die Dildos lecken; Amazonen, die versuchen, ein Puzzle zu vervollständigen, und niemals enden werden. Alles schreit nach Pein, nach Qual, nach Unbehagen – und trotzdem will sich dieses Gefühl erst einmal nicht einstellen.

Dantes Hölle ist wahrlich kein schöner Ort. Wie Dante mit den verlorenen Seelen redet, lässt einen schaudern. Bei Signas Luxuskasino ist es ein wenig anders. Die Menschen haben hier viel zu erzählen, wenn sich das Publikum darauf einlässt. Zum Beispiel Medusa, die plötzlich erzählt, wie sie die ehemalige Priesterin nur spielt und eigentlich aus einem spanisch-sprechenden Land kommt. Das sind die glorreichen Momente, in denen das Spiel durchbrochen wird – und eigentlich auch nicht.

Jede Zuschauerin, jeder Zuschauer macht hier andere Erfahrungen. Aber die Rückschau aufs eigene Leben, die bei Dante so bedeutend ist, in der man mit Wünschen und Ängsten konfrontiert wird, in einer Welt, in der böse Taten nicht mehr einfach so zu reinigen sind, findet nur in Maßen statt. Um dahin zu kommen, müssten die Schauspieler das Publikum noch mehr an ihre Grenze bringen, es eigentlich noch mehr quälen. Dieser Gedanke stellt sich kurz nach der Performance ein.

Seine überraschende Wirkung entfaltet das Stück erst, nachdem es schon längst verlassen wurde. Der Typ, der in der U-Bahn schläft und nichts mitbekommt. Tanzende Menschen im Club mit leerem Blick. Die verlorenen Seelen. Das sind wir.