Stigmata kleiner Männer: Die da oben

Unter einem Meter siebzig wird das Leben ungerecht. Kleine Männer verdienen weniger Geld, die Literatur hasst sie und sie werden nicht Präsident der USA.

Kleine Männer haben mehr Power, Sex und Eloquenz. Sie sind den Großen hoffnungslos überlegen: wie Silvio. Bild: reuters

Ein bekannter, aber nur 1,69 m großer freier Journalist, musste immer wieder erleben, dass man ihn höflich, nett und zuvorkommend behandelte, solange er mit einem Redakteur telefonierte. Sobald man sich gegenüberstand, wurde er von oben herab angeguckt, und das nicht nur aus statischen Gründen. Darunter litt der kleine Journalist so, dass er zahlreiche Magazine und Illustrierten vollschrieb.

Er wurde zum größten Starreporter in den Achtzigern, seine langen Artikel waren legendär, außerdem schrieb er zahlreiche Krimis, Sachbücher und Geschichten, bevor er schließlich Uniprofessor wurde. Und das alles nur, weil er an der 1,70-Grenze gescheitert war.

Rund 25 Prozent der deutschen Männer gelten als klein, das heißt, sie sind unter 1,70 m. Sagte man unverblümt zu ihnen: „Du bist aber klein“, würde das als eine Beleidigung aufgefasst, weshalb die Medien sich mühen, das Problem zu umschreiben. Aber auch „mittelgroß“, „untersetzt“ oder „zierlich“ hört niemand gern, der klein ist. Der kleine Mann ist empfindlich, und das zu Recht, denn er wird gerne untergebuttert. Und deshalb muss er sich mehr anstrengen als der große Mann, will besser sein. Nur das Gleiche zu erreichen, reicht ihm nicht.

Günther Willen: „Das große Buch der kleinen Männer“. Lappan Verlag, Oldenburg 2012, 207 Seiten

Der Oldenburger Bibliothekar und Bestsellerautor Günther Willen machte bei seiner täglichen Zeitungslektüre eine überraschende Entdeckung: Kleine Männer werden sehr häufig mit der Angabe ihrer Körpergröße versehen, während bei großen Männern diese Angabe fehlt. Die „magische Grenze“ lag hier aus unerfindlichen Gründen bei einem Meter und dreiundsiebzig Zentimetern.

Alles über die Kleinen

Günther Willen ist diesem Phänomen auf den Grund gegangen und hat alles zusammengetragen, was mit kleinen Männern zu tun hat, welche Rolle sie in der Literatur spielen, welche kleinen Diktatoren und Bösewichte es gab, welche kleinen Politiker und Bonzen, welche kleinen Stars und Sternchen. Und er hat dabei Erstaunliches herausgefunden.

Große Männer, zitiert Willen aus Studien, werden bei der Vergabe von Jobs bevorzugt. Dass sie tatsächlich „entscheidungsfreudiger, risikobereiter und beruflich erfolgreicher“ (Willen) seien, ist dabei nie nachgewiesen worden. Dennoch verdienen Männer über 1,89 m an der Wall-Street zwei Prozent mehr als Männer unter 1,80 m. Dafür wiederum, behaupten Ärzte der Universität Michigan, würden kleine Männer „mehr mobben“, was naheliegend ist.

Interessant, wenngleich eigentlich nicht verwunderlich, dass bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlkämpfen meistens der größere Kandidat gewinnt – Barack Obama ist übrigens 1,85 m groß, Konkurrent Mitt Romney 1,88 m.

Kleine Männer haben „mehr Power, mehr Sex, mehr Energie, mehr Ehrgeiz, mehr Eloquenz“, behauptet Willen. Sie sind den großen Männern hoffnungslos überlegen, und vielleicht deshalb versucht die 75%-Mehrheit der großen Männer, sie sich vom Leib zu halten. Das gelingt in den seltensten Fällen, was man gerade bei den kleinwüchsigen Diktatoren sieht, die mit „Geltungssucht, Machtbewußtsein und Ehrgeiz“ (Willen) sich an die Spitze des Staates vorarbeiten und dann alle spüren lassen, dass mit ihnen nicht zu spaßen ist.

Kleine Tyrannen

Benito Mussolini (1,52 m) flößte seinen Gegnern Rhizinusöl ein und Josef Stalin (1,65 m) stellte sie an die Wand, nicht ohne ihnen vorher noch einen Schauprozess gemacht zu haben, ganz zu schweigen von den Nazi-Größen, die ganz klein waren: Hitler (1,72 m), Goebbels (1,65 m), Eichmann (1,68 m) Streicher (1,68 m). Gottseidank bringt maßloser Ehrgeiz nicht immer einen Diktator hervor, aber doch erstaunlich viele kleine Politiker, die durch viele Wortmeldungen auffallen wie Gregor Gysi (1,66 m), Norbert Blüm (1,67 m), den man allerdings auch zu den Kabarettisten rechnen könnte, und Heinrich Lummer (1,58 m), der sich in seiner Zeit als Berliner Innensenator gerne als Napoleon inszenierte, wenn er besetzte Häuser räumen ließ.

Als kleiner Mann kann man es gar bis zum Bundeskanzler bringen, man muss dazu allerdings Mitglied der SPD sein und Helmut Schmidt (1,70 m) oder Gerhard Schröder (1,72 m) heißen.

Auch in der Branche der Schauspieler ist es nicht von Vorteil klein zu sein, dennoch sind es gerade die kleinen, die ganz groß raus kamen. Humphrey Bogart, der 1999 vom American Film Institute zum „größten männlichen amerikanischen Filmstar aller Zeiten“ gewählt wurde, musste während der Dreharbeiten von „Casablanca“ mit Plateauschuhen herumlaufen, um zu Ingrid Bergmann auf Augenhöhe „Here‘s looking at you, kid“ sagen zu können. Woody Allen, ebenfalls nicht der größte, kam nach einer Begegnung mit seinem Idol Bogart zu der Einsicht: „Du bist klein, du bist mies, und trotzdem ist dir alles gelungen. Ich bin klein, ich bin mies, und mir wird auch alles gelingen.“ Sein Plan ist im großen und ganzen aufgegangen.

Manchmal, wie im Klassiker „Tote schlafen fest“ jedoch, passte die Rolle wie angegossen: Bogart: „Sie wollten mich sprechen?“ Lauren Bacall: „Sie sind Privatdetektiv? Ich wusste gar nicht, dass es die wirklich gibt, außer in Krimis – dreckige, kleine Kerle, die in Hotels herumschnüffeln. Besonders anziehend sehen Sie nicht aus.“ Bogart: „Ich bin ’n bisschen klein geraten. Das nächste Mal komm ich auf Stelzen, trag ’ne weiße Fliege und ’nen Tennisschläger unterm Arm.“ Bacall: „Glaub nicht, dass das viel helfen wird.“

Und wie kommt der kleine Mann in der Literatur weg? Meistens nicht gerade vorteilhaft. Als „Rudi der Arsch“ und als „Hundertsiebenundfünfzig Zentimeter Hansdampf in allen Gassen“ beschreibt ihn Frank Schulz, David Dodge kanzelt ihn ab: „Er war schwer von Begriff und noch dazu prahlerisch, wie es nur ein kleiner Mann sein konnte“, und auch Ross Thomas kann sich einen Seitenhieb auf ihn nicht verkneifen: „Er stand auf, wippte wieder auf den Fußspitzen, um größer zu wirken. Sein Gesicht war eine Studie aus Abscheu“.

Kleine Duckmäuser

Michel Houellebecq hat ebenfalls keine sehr gute Meinung von kleinen Männern: „Jeds geringe Körpergröße erleichterte es ihm zudem, eine Unterwerfungshaltung einzunehmen, die im Allgemeinen von Kulturreferenten sehr geschätzt wurde.“

Dabei gibt es natürlich jede Menge kleingeratene Schriftsteller, die im Literaturkanon ganz oben stehen und zumeist skandalträchtige Leben führten, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wie Honoré de Balzac (1,65 m), der Marquis de Sade (1,60 m) und Truman Capote (1,60 m). Ohne ihre Bücher wäre die Kosmos der Weltliteraur um einiges, ja, kleiner.

Es war also höchste Zeit, eine Lanze für den kleinen Mann zu brechen, der, obwohl in der Minorität, recht erfolgreich ist. Weil das allerdings aufgrund seiner Diskriminierung häufig nach hinten losgeht, bleibt einem nichts anderes übrig, als ihn im Auge zu behalten, was schwierig ist, weil er so klein... aber wir wollen uns nicht im Kreis drehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.