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Archiv-Artikel

Vom Ende der Hütten und Paläste

Alte Wohnkategorien, welche die Gegensätze zwischen Mangel und Repräsentation widerspiegeln, bestehen in hergebrachter Form nicht mehr

Was ist ein Haus? – Die Frage erscheint simpel. Dass Hütten und Paläste in unserer Zeit selten geworden sind, machte es für Klaus-Peter Gast allerdings nicht unbedingt einfacher. Bei seiner Zusammenstellung von Häusern, die exemplarisch für neue Wege beim Wohnungsbau stehen, mussten Grenzen gezogen, ein Rahmen abgesteckt werden. Voraussetzung dafür war die Beantwortung einer anderen Frage: Was bedeutet „Wohnen“ heute? Ein Blick zurück ergibt zunächst, dass sich in den vergangenen 100 Jahren eine Menge gewandelt hat. Alte Wohnkategorien, die Klassengegensätze zwischen Mangel und Repräsentation widerspiegeln, bestehen in hergebrachter, polarisierender Form nicht mehr. Deshalb hat Gast eigene Grenzen gezogen. Diese sind auf den ersten Blick willkürlicher Natur, orientieren sich an abstrakten Zahlen, die Rückschlüsse auf soziale Bezüge nicht zulassen.

Die neuen Wege im Wohnhausbau sind in vier Kategorien unterteilt: Da ist zunächst das „Wohnen auf kleiner Fläche“. Die maximale Größe der hier porträtierten Gebäude beträgt 100 Quadratmeter. Was früher luxuriös gewesen wäre, erscheint heute bescheiden. Doch Beschränkung im Raum muss nicht aus der Not geboren, sondern kann auch freiwillige Selbstbeschränkung sein, wie einige Beispiele zeigen. In der zweiten Kategorie „Klassisches Wohnen“ werden Hausgrößen von 100 bis 250 Quadratmetern vorgestellt, die durchschnittliche Hausgröße einer breiten Bevölkerungsschicht. „Wohnen in der Villa“ beschreibt nicht nur die flächenmäßig größte Kategorie, sondern kann auch sozial am eindeutigsten eingeordnet werden. Das Prinzip, die Wohnfläche zum Maßstab zu nehmen, spielt in der vierten Kategorie „Verdichtetes Wohnen“ keine Rolle mehr. Hier werden Häuser im engen Verbund und dichter Gemeinschaft präsentiert.

Da kein Haus für sich selbst steht, berücksichtigt Gast auch das Umfeld. Er unterscheidet „landschaftliche“, „dörfliche“ und „städtische“ Kontexte, so dass jede der vier Kategorien in drei weitere unterteilt wird. So entfaltet sich in zwölf Kapiteln eine breite, vielfältige Palette individueller Häuser, die in den vergangenen zehn Jahren gebaut worden sind. Jedes für sich – auf einer Doppelseite mit kurzem Text, Abbildungen und Zeichnungen porträtiert – steht prototypisch für Lösungen und Perspektiven des aktuellen Baus von Wohnraum. Architektonische Anregungen und Überraschungen werden in Wort und Bild auf den Punkt gebracht.

Die Zusammenstellung avantgardistischer Raumentwürfe hat Gast zu einer gewagten These verführt: „Im internationalen Wohnungsbau werden Grundrisskonzepte heute nicht mehr von standardisierten Lösungen und stilistischen Haltungen geprägt, sondern sind überwiegend das Ergebnis weit gefächerter Lebensarten der Bewohner.“ Schön wär’s. „So entstanden in jüngster Zeit neuartige Prinzipien und Strategien für Raumlösungen.“ Dass dem so ist, belegt Gast mit über 100 Beispielen. Wenn diese Vorreiter Schule machen, könnte der internationale Wohnungsbau auch in der Masse jene Qualität erreichen, die Gast ihm bescheinigt.

LARS KLAASSEN

Klaus-Peter Gast: „Wohn Pläne. Neue Wege im Wohnhausbau“. Birkhäuser Verlag, Basel/Berlin/Boston 2005, 240 Seiten, 88 €