Gegen den Flüchtlingsstrom: Asylbewerber ins Büro

Hamburg mietet neue Unterkunft für Hunderte Asylsuchende in leer stehendem Bürokomplex an. Ein Notlager aus Zelten soll so ersetzt werden.

Das wird die neue Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Hamburg: Bürogebäude im Stadtteil Groß Borstel. Bild: Ulrike Schmidt

HAMBURG taz | Schräg gegenüber ist die Zentrale des Türkei-Reiseveranstalters Öger Tours, um die Ecke führt ein kleiner Weg namens „Heimkehr“ in die Kleingärten des Hamburger Stadtteils Groß Borstel. Eben hier richtet die Hansestadt nun symbolträchtig eine neue Erstaufnahme für Flüchtlinge ein.

„Wir können am Montag loslegen“, sagt Frank Reschreiter, Sprecher der Hamburger Innenbehörde. Am gestrigen Freitagnachmittag hat Hamburg den Mietvertrag für das leer stehende Bürogebäude an der Ecke Heselstücken/Sportallee unterzeichnet, um der wachsenden Flüchtlingszahlen Herr zu werden. Die Miete für 2.416 Quadratmeter liegt bei monatlich 20.000 Euro netto/kalt.

Schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite leuchten die weißen Zelte, in denen seit Anfang des Monats Asylsuchende in langen Reihen in Doppelstockbetten nächtigen. Sie stehen auf dem Parkplatz der überfüllten Erstaufnahmestation Sportallee – „eine echte Notmaßnahme“, räumte ihr Leiter Carsten Mahlke bereits vorige Woche ein. Noch vor zwei Jahren waren im Schnitt 30 Menschen pro Nacht in der Erstaufnahme, bei 70 ist die Kapazität erschöpft.

Inzwischen aber kommen täglich mehr als 300 Flüchtlinge – mit weiter steigender Tendenz. Laut Statistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (siehe Kasten) wurden Hamburg davon zwischen Januar und Juli 2012 monatlich zwischen 127 und 172 Asylbewerber zugewiesen. Im August waren es bereits 216 und im September 305.

Und deshalb erweitert Hamburg die Unterbringungsmöglichkeiten. Winterfeste Wohncontainer samt sanitären Anlagen für 300 Menschen werden auf dem Parkplatz Braun in der Nähe des HSV-Stadions an der Autobahnausfahrt Volkspark errichtet. Diesem Plan der Innenbehörde stimmte am Donnerstagabend die zuständige Bezirksversammlung Altona zu. 200 weitere Flüchtlinge kann Hamburg im Lager Nostorf/Horst in Mecklenburg-Vorpommern unterbringen. Der Vertrag wurde am Donnerstag unterzeichnet.

Die Zahl der in Deutschland Asyl Suchenden nimmt nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge seit 2009 wieder zu, vor allem aus dem arabischen Raum und dem Nahen Osten.

Asylanträge: 2005 stellten 28.914 Menschen Asylanträge. 2010 waren es bereits 41.332, im vorigen Jahr sogar 45.741.

Herkunftsländer: Die meisten Flüchtlinge im Jahr 2011 kamen mit 7.767 Menschen aus Afghanistan. Es folgten Irak (5.831), Serbien (4.579), Iran (3.352) und Syrien (2.634).

Aktuell: Im laufenden Jahr stellten bis Ende September bereits 49.045 Menschen erstmals Asylanträge in Deutschland.

Flüchtlingsinitiativen kritisieren die isolierte Lage der ehemaligen DDR-Kaserne in einem Waldstück, zudem seien die medizinische Versorgung und Bildungsmöglichkeiten schlecht. Sie fordern deshalb seit langem die Schließung des Lagers und wollen dafür am morgigen Sonntag um 13 Uhr vor Ort demonstrieren. Innensenator Neumann (SPD) hingegen verteidigt den neuen Vertrag mit dem Hinweis auf die stetig steigenden Flüchtlingszahlen.

Das wichtigste Element in der neuen Hamburger Unterbringung ist nun das dreigeschossigen Bürogebäude in Groß Borstel, das zunächst für ein Jahr gemietet wurde. Im Parterre sollen kurzfristig Büros, Kantine, Sozialräume und Spielzimmer für die Kinder eingerichtet werden. Dadurch würden 45 Plätze in der Erstunterbringung Sportallee frei, so Innenbehörden-Sprecher Reschreiter. In einem zweiten Schritt könnten in der ersten und zweiten Etage weitere Wohneinheiten eingerichtet werden. Insgesamt sollen in der bestehenden Erstaufnahme und der neuen Heimat gegenüber am Heselstücken mittelfristig um die 300 Flüchtlinge untergebracht werden.

Laut Angebot auf der Homepage des Maklerbüros können die Räume „durch Veränderung der Leichtbauwände an die Bedürfnisse der Mieter angepasst werden“. Zudem verfüge das Gebäude über „getrennte WC-Einheiten auf jeder Etage, Pantry/Teeküche, Personenaufzug und Alarmanlage“. Sollten die Flüchtlingszahlen nicht wieder sinken, kann Hamburg nach einem Jahr Mietzeit eine Kaufoption ziehen. Die bis dahin gezahlte Miete würde auf den Kaufpreis von 3,1 Millionen Euro angerechnet. Das nicht winterfeste Zeltlager an der Sportallee soll „vorsichtshalber“ bleiben, sagt Reschreiter: „Für den Notfall.“

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