: Russland knebelt seine Zivilgesellschaft
Ein neues Gesetz zur Neuregistrierung sämtlicher Nichtregierungsorganisationen bedeutet für viele Gruppen das Aus. Partnerschaften mit dem Ausland werden verboten, Exhäftlingen wird Recht auf Organisationsgründung aberkannt
MOSKAU taz ■ „Für konkrete politische Aktivitäten in Russland wird vom Ausland Geld zur Verfügung gestellt“, berichtete Vizepremier Alexander Schukow dem Kreml im Juli. „Das lassen wir nicht zu !“, meinte Russlands Präsident.
Vier Monate später liegt der Duma ein Gesetzesprojekt vor, das die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) erschweren und stärkerer staatlicher Kontrolle unterwerfen könnte. 370 Duma-Abgeordnete winkten den Entwurf in der ersten Lesung letzte Woche ohne Diskussion durch, nur 18 sprachen sich dagegen aus. Sollte das Gesetz wie geplant im Januar in Kraft treten, sind rund 450.000 NGOs gezwungen, sich im Laufe des nächsten Jahres beim Justizministerium neu registrieren zu lassen. Allein das dürfte die Behörden vor eine logistische Herausforderung stellen, 1.500 Organisationen müssten pro Tag geprüft werden.
Unliebsame NGOs – insbesondere im Nordkaukasus – konnten auch bislang auf vorhandener Gesetzeslage geschlossen werden. Das Gesetz zum „Kampf gegen den Terrorismus“ bietet dazu ausreichend Handhabe. Der wirklich schwerwiegende neue Vorstoß gilt ausländischen „gesellschaftlichen Organisationen“. Deren finanzielle Hilfe an russische Partner soll trocken gelegt werden. Organisationen wie Human Rights Watch, Transparency International, Ärzte ohne Grenzen und selbst amnesty international könnten damit demnächst gezwungen sein, die Zelte in Russland abzubrechen.
Betroffen von der Neuregelung sind Stiftungen, Think-Tanks, Menschenrechts- und Hilfsorganisationen mit Stammsitz im Ausland. Sie müssen sich jetzt, um in Russland arbeiten zu können, neu als eigenständige juristische Personen nach russischem Recht registrieren lassen. Bisher war der Status einer Filiale der Mutterorganisation ausreichend. Mit dem Neuantrag muss überdies ein Nachweis über Finanzierung aus russischen Quellen erbracht werden. Da sich Russlands Geschäftswelt schon aus politischer Vorsicht nicht als Sponsor potenziell kremlkritischer Initiativen hervortun möchte, kommt diese Klausel einem Verbot gleich.
NGOs in der Demokratieförderung, im Medien-, Umwelt- und Menschenrechtsbereich trifft dies als Erste. Im Unterschied zu deutschen Stiftungen, die als Mitgliedervereine „gesellschaftlichen Organisationen“ im russischen Recht annähernd entsprechen, bedeutet die Verschärfung für US-Stiftungen wie die Ford Foundation, die keine Mitgliedschaft kennen, das sofortige Aus. Um westlicher „Wühlarbeit“ ein für allemal vorzubeugen, dürfen mit einem üblichen Jahresvisum ausgestattete Ausländer fürderhin weder eine NGO gründen, noch mitarbeiten oder auch nur Mitglied sein.
Noch sind die Kollateralschäden für die russische Zivilgesellschaft nicht abzusehen, sie dürften aber erheblich sein. Gruppierungen wie das Komitee der Soldatenmütter, Memorial, die Helsinki-Gruppe oder der Glasnost-Fonds waren 20 Jahre lang Flaggschiffe einer couragierten Bürgergesellschaft. Ihre Existenz ist nun gefährdet.
Ein Sonderpassus bedenkt auch den Fall des inhaftierten Unternehmers Michail Chodorkowski: Vorbestraften und Inhaftierten wird das Recht auf Gründung einer gesellschaftlichen Organisation aberkannt. Sollte sich die Regelung auch auf Verurteilte des Sowjetregimes erstrecken, wären alle ehemaligen Dissidenten betroffen, die bis heute eine federführende Rolle in der russischen Bürgergesellschaft bekleiden.
Mitarbeiter des beim Präsidenten angesiedelten Rats zur Mitwirkung an der Entwicklung der Zivilgesellschaft baten daher im Sommer das Justizministerium um Auskunft, ob an einem entsprechenden Gesetz gearbeitet werde. Das Ministerium verneinte. Die Operation wurde erst ruchbar, als das Wirtschaftsministerium den Entwurf konspirativ weiterreichte.
Dort fürchtet man Auswirkungen auf das Investitionsklima. Ausländische Unternehmen sind nämlich bislang – wie gesellschaftliche Organisation – auch nur als Tochtergesellschaften niedergelassen. Forschungseinrichtungen müssten ebenfalls auf Kooperation mit westlichen Wissenschaftlern verzichten, sollte der Entwurf Gesetz werden.
Zivilgesellschaftliche Organisationen sind Moskau seit langem ein Dorn im Auge. Im Bericht zur Lage der Nation 2004 verunglimpfte Putin NGOs bereits als „fünfte Kolonne“ und drohte eine härtere Gangart an. Seit in der Ukraine und Kirgisien das Volk die alten Machthaber davonjagte, läuft Moskau Amok: Terroristische und andere Organisationen bereiteten mit ausländischer Hilfe weitere Umstürze in GUS-Staaten vor, behauptete FSB-Chef Nikolai Patruschew im Mai vor der handzahmen Duma. KLAUS-HELGE DONATH