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Archiv-Artikel

Rechte Brutpflege

AKQUISE Bislang noch weitgehend unbehelligt übernimmt der „Sturmvogel – Deutscher Jugendbund“ die rechte Nachwuchsarbeit

VON ANDREA RÖPKE UND ANDREAS SPEIT

Ein idyllischer Ort am Urstromtal der Recknitz mitten in Mecklenburg-Vorpommern. Kalter Wind weht über das abgelegene Anwesen. Nur über einen holprigen Weg ist die Jugendfreizeitstätte Recknitzberg zu erreichen. Kurz vor Neujahr ist die Zufahrt zur Freizeitstätte mit Gutshaus, Nebengebäude und Köhlerhütte vereist. Eine Fahne flattert auf dem Grundstück: Ein schwarzer Vogel auf weiß-rotem Grund. Selten weht das Symbol der rechten Gruppierung „Sturmvogel – Deutscher Jugendbund“ so sichtbar. Denn auch dieses Treffen ist geheim. In der Abgeschiedenheit glaubt die bündische Jugendgruppe wohl ihr Lager unbemerkt ausrichten zu können. Wollen sie laut Gründungsflugblatt doch mit ihrer Jugendarbeit ein „Vorleben“ vermitteln, das gegen den „Ungeist“ steht, „der unser Volk derzeit jeden Atemzug verpestet“.

Zum „Neujahrsfest“ ist der „Sturmvogel“ in der Freizeitstätte vom 27. Dezember bis 1. Januar 2010 zusammengekommen. Etwa vierzig Personen, Betreuer, Kinder, aber auch Kleinkinder, nehmen an dem Lager teil, bei dem vermeintlich völkische Traditionen und heidnische Bräuche ausgelebt werden. „Die Bedeutung von solchen Gruppen und ihren Schulungen darf nicht unterschätzt werden“, betont Gideon Botsch, vom „Moses Mendelssohn Zentrum“. Ihre antidemokratischen Erziehungsideale wirken nachhaltig. „Viele Kader der NPD wurden in Gruppen, wie der ‚Wiking-Jugend‘ (WJ) politisiert und sozialisiert“, hebt Botsch hervor. Der NPD-Fraktionschef Udo Pastörs aus Mecklenburg-Vorpommern, aber auch der NPD-Bundesordnerchef Manfred Börm kommen aus der WJ, die wie der „Sturmvogel“ sich um die rechte Gesinnung bei Kindern und Jugendlichen bemühte. Edda Schmidt, die nachweislich beim „Sturmvogel“ agierte, ist heute Vorsitzende der NPD-Frauenorganisation „Ring Nationaler Frauen“. Auch der „Sturmvogel“, sagt Botsch, liefere eine „umfassende Schulung, die eine ideologische Festigung nach sich zieht“.

Finstere Tradition

Der „Sturmvogel“ selbst hat seine Wurzel in der WJ. „Er ist eine radikale Abspaltung“, betont Botsch, der zur bündischen Jugend forscht. 1987 entstand sie aus einem internen Streit. Der ehemalige WJ-Bundesfahrtenführer Rudi Wittig wurde erster Bundesführer des „Sturmvogel“. Nur wenige Jahre später verbot das Bundesinnenministerium die WJ – der „Sturmvogel“ blieb davon unberührt. In einem der Gründungsflugblätter stellten sie ihre Intention allerdings eindeutig dar: Sie seien „volkstreu eingestellte Deutsche“. In einem ihrer Jahreskalender 2006 offenbaren sie, wo die Grenzen Deutschlands verlaufen: „Auf unseren Wanderungen lernen wir Deutschland kennen“, von „Schleswig-Holstein bis nach Tirol, von Elsass bis ins Memelland“.

Im Nebenhaus der Freizeitstätte sitzen die „Sturmvögel“ am Tisch. Ein Jugendlicher kommt heraus. Kaum wird das Gespräch gesucht, wendet er sich ab. Ein älterer Jugendlicher versucht mit einem Auto den Weg zu versperren. Als das nicht gelingt, beginnt eine Verfolgung. Bei einem Stopp wird das Gespräch jedoch verweigert. Es wird gar versucht, eine Kamera zu entwenden.

Seit über zwanzig Jahren richtet der „Sturmvogel“ Fahrten und Lager für Kinder und Jugendliche aus. „Singen, wandern, toben“, so wirbt der „Sturmvogel“ 2009 für ein „Wochenendlager“ bei Nordhausen, deren Einladungen auch an Neonazi-Familien in Thüringen gegangen sein sollen. Nur nach Rücksprache durfte die Einladung weitergegeben werden. Ähnlich wie die kürzlich verbotene „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) ist die Gruppe eben sehr bemüht, ihre Aktivitäten geheim zu halten. Anfang 2009 hat das Bundesinnenministerium die HDJ, die ebenso mit der WJ eng verwurzelt war, verboten.

Trotzdem: „Der ‚Sturmvogel‘ ist kein Beobachtungsobjekt“, sagt ein Sprecher des Bundesamts für Verfassungsschutz (VS) der taz. Mitte der 90er-Jahre erklärte das Bundesinnenministerium aber, dass der „Sturmvogel“ „Anhaltspunkte für rechtsextreme Bestrebungen“ aufwies. Die Zurückhaltung des VS kann Botsch nicht ganz nachvollziehen. „Wir wissen, dass die HDJ nach neuen Möglichkeiten sucht“, betont er, „ich könnte mir denken: Der ‚Sturmvogel‘ könnte ein Teilersatz für die Jüngsten werden.“ Geschichte und Charakter böten es an.

„Die haben sich als Pfadfindergruppe angemeldet“, sagt Olaf Gottschalk, Betreiber der Freizeitstätte Recknitzberg. Schon zweimal sei diese Gruppe da gewesen. Aufgefallen wäre ihm nichts, sagt er, außer dass sie „sehr umweltbewusst“ seien. Klischees von Rechtsextremen versperren oft den Blick auf völkisch-nationalistische Kreise. Besonders wenn die einen vermeintlich alternativen Lebensentwurf und ökologisches Bewusstsein offenbaren. In der Region Benz, knapp eine Autostunde von Recknitzberg entfernt, kennt die Familie von Werder diese trügerischen Wahrnehmungsmuster. In Ilow, wo keine Zäune die Grundstücke trennen, kennt jeder jeden – so dachte die Familie zumindest. Nachdenklich wurden die von Werders aber, als die Nachbarskinder ihren Kindern nahelegten, statt „cool“ „toll“ zu sagen. Ihnen fiel nun auch auf, dass ihr Nachbar vom „Europa der Völker“ beim Grillen sprach. Bald mussten sie feststellten: Die Nachbarsfamilie ist beim „Sturmvogel“. Nicht weit von ihnen, in Kalsow, entdeckten sie eine zweite Familie: auch beim „Sturmvogel“. „Es war ein Schock“, sagt ein Elternteil: „Wir gingen auf Distanz zu den Eltern.“ Aus der Initiative für einen Waldorfkindergarten konnten sie sie heraushalten.

Rechte Region

Gibt es Ansiedlungen von „Sturmvögeln“ in bestimmten Regionen? Das „Regionalzentrum für demokratische Kultur Westmecklenburg“ möchte nicht spekulieren. Ein „Pimpfenlager“ fand allerdings in Brook bei Grevesmühlen statt. In der Gemeinde Benz ist Elmar Mehldau parteiloser Bürgermeister – früher war er Herausgeber des „Sturmboten“. „Das war in meiner Studentenzeit“, bestätigt er der taz. Mehldau, der in Goldebee lebt, betont: „Ich habe mit denen nichts mehr zu tun.“ Von Mehldaus Gutshof aus betreibt aber der erste „Sturmvogel“-Führer Wittig ein Versandantiquariat. Doch der „Sturmvogel“ löst in der bündischen Jugend, der heute etwa 10.000 Aktive angehören, Debatten aus. In der Szene missfallen auch der „Freibund – Bund Heimattreu Jugend e. V“, die „Deutsche Gildenschaft“ und die „Katholischen Pfadfinderschaft Europas“ wegen ihren rechtslastigen Ausrichtungen. Mit dem „Sturmvogel“ zusammen sollen die Gruppen an die 4.000 Anhänger haben.

„Das bündische Erbe ist ein kompliziertes“, erklärt Karin Peter, Bundesführerin der „Deutschen Freischar“. Die rechtslastigen Bünde, so Peter, nutzen aus, dass sich die bündische Jugend in den 20er-Jahren überwiegend zu einer nationalen Gesinnung bekannte. Sie betont: Grenzen zu extrem rechten Bünden müssen gezogen werden. Hier wollen Gruppen auch nicht auf staatliche Verbote warten. Ende 2009 erklärten der „Deutsche Pfadfinderbund Mosaik“ und der „Zugvogel“, dass den deutlich „rechtsnational-konservativen, völkischen und rechtsextremen Anschauungen“ in dem „jugendbewegten Spektrum“ „entschieden entgegen“ zu treten sei. Auf der „Jugendburg Ludwigstein“ im hessischen Werra-Meißner-Kreis ist der „Sturmvogel“ mittlerweile unerwünscht. Die Burg ist die Begegnungsstätte der Pfadfinder- und Jugendbewegung. Wegen seiner Positionen wurde der „Sturmvogel“ unlängst zu einem Gespräch geladen. „Deren Bundesführer weigerte sich jedoch, seinen Klarnamen zu nennen. Dies ist mit den Grundsätzen nicht vereinbar“, sagt Peter.

In Mecklenburg-Vorpommern erklärte das Ministerium für Soziales und Gesundheit, nun einen Blick auf den „Sturmvogel“ zu werfen. „Wir sorgen uns um das Kindeswohl der Kinder und Jugendlichen“, betont eine Mitarbeiterin des zuständigen Ministeriums.

In Ilow haben indes nicht die „Sturmvögel“ Ärger, sondern ihre Kritiker. „Wir ziehen weg“, sagt die Familie von Werder. Die Familie gilt als „die Störer“.

„Weil wir offen über die Rechtextremen geredet haben“, betont ein Familienmitglied.