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Archiv-Artikel

Die Zirkusdirektoren des Archivs

FILMGESCHICHTE Ein Lob auf die frühen Sammler – mit Kurzfilmzusammenstellungen aus den Kindertagen des Kinos startete im Arsenal die „Filmspotting“-Reihe mit Erkundungen im Archiv der Deutschen Kinemathek

VON ANDREAS BECKER

So stelle ich mir Filmforschung vor: man klettert in einem verfallenen Studiokomplex in Berlin-Adlershof, am besten am Rand des ehemaligen Flughafens Johannisthal, wo Filme wie „Nosferatu“ (1921) gedreht wurden, durch ein Loch im Zaun in ein fensterloses, nach Chemikalien müffelndes Filmlager. Friemelt einzelne Filmrollen aus großen Blechdosen und lässt das Material vor einer Taschenlampe langsam abrollen. Dabei entdeckt man dann einige Filmschnipsel, natürlich fast verbrannt im Krieg, mit riesigen Spratzern drauf, die noch nie jemand in den letzten, sagen wir 70 Jahren gesehen hat. Damit fährt man zum Potsdamer Platz, klingelt im Sony Center und legt seinen staubigen Fund stolz auf den Schneidetisch der Deutschen Kinemathek.

Solche Archivierungsfantasien resultieren auch daraus, dass es in Deutschland früher gar keine zentralisierte, systematische Filmarchivierung gab und heute auch nur rudimentär stattfindet. Verleiher vernichten die Kopien ihrer Filme nach dem Kinoeinsatz, allein schon, um keine Kosten für die Lagerung zu haben. Außerdem sind die Filme nach dem wochenlangen Zeigen oft verhunzt, teilweise sogar von den Vorführern ver- und umgeschnitten.

Ob die systematische Filmarchivierung durch den vermehrten Einsatz von Digitalprojektion und das abzusehende Ende der klassischen Zelluloidrolle besser wird, ist zu bezweifeln.

Zu seinem 50. Geburtstag versucht die Stiftung Deutsche Kinemathek, sich auch der Filmgeschichte zu widmen, die im Verborgenen liegt, ja oftmals fast vollkommen vergessen scheint. Abseitiges und kaum Bekanntes der frühen Filmsammler Walter Jerven und der Althoffs gab es jetzt am Montag bei einer „Filmspotting“-Vorführung im Arsenal zu entdecken. Davor aber stellte der Filmwissenschaftler Rolf Aurich die Sammler vor. Zuerst Walter Jerven, 1889 in Hannover geboren und kurz vor Kriegsende in Berlin verstorben.

Jerven, der 1922 seinen Namen Wucherpfennig ablegte, war ein Multitalent: Buchhändler, Schriftsteller, Drehbuchautor und eben auch ein „Pionier der Filmrestaurierung“. Mit Karl Valentin drehte er 1929 den Spielfilm „Der Sonderling“. Später geriet er mit Valentin in Streit, vor allem wohl übers Geld, wie Aurich zu erzählen wusste.

Ab 1933 stellte Jerven vor allem Kompilationsfilme her, mit denen er durch die Kinos tingelte und dazu gern auch launige Geschichten erzählte. Um diese Kompilationen zusammenzustellen, suchte Jerven überall im Land, auch über Anzeigen in Zeitungen, nach bestimmten Filmen oder auch nur Ausschnitten, die ihm noch fehlten. In einer Zeitungsrezension von 1931 wird Jervens Vorführung in einem Kino gelobt für Wortspiele, Kabaretteinlagen und witzige Erklärungen von Regiefehlern. Er war Kritiker, Showman und Archivar in einer Person.

Sammeln zum Gelderwerb

Jerven war nicht nur der klassische Sammler, der alles von einem bestimmten Schauspieler oder Regisseur haben wollte – er lebte auch von der Vorführung seiner Schätze. Leider wurde der Großteil seiner Sammlung im Krieg vernichtet. Obwohl es ja manchmal Wunder gibt wie unlängst der Fund einer etwa 30 Minuten längeren „Metropolis“-Fassung in Argentinien. Also, suchen Sie im Keller nach schweren Blechrollen!

Aus dem Archiv der Kinemathek gab es dann im Arsenal eine herrliche, weil recht humorige Zusammenfassung von Asta-Nielsen-Filmszenen in einem neunminütigen Werk zu sehen mit durchaus auch analytischem Off-Kommentar von Jerven. Entstanden nach 1932, genauer wusste es auch Forscher Aurich nicht. Den Kompilierer Jerven interessierten scheinbar auch sehr Flugzeugfilme. Für das Reichsfilmarchiv – die Nazis hatten die Bedeutung der Archivierung ihres Lieblingspropagandamittels schnell erkannt – erstellte er 1941 „Himmelsstürmer“ über „Geburt und Geschichte des Fliegens“. Und gern hätte man mehr über Jervens Rolle und vermeintliche Nischenexistenz während der Nazijahre erfahren.

Interessant auch die beiden Althoffs, Vater und Sohn verwirrenderweise beide mit dem Vornamen Ferdinand. Beide auch gestorben 1945 in Woltersdorf bei Berlin, wo die der Zirkusfamilie entstammenden Althoffs ab 1937 eines der wohl ersten Freiluftkinos betrieben. Vater Althoff reiste bereits ab Anfang des 20. Jahrhunderts mit einem Kinozirkus durch die Welt, angeblich mit bis zu 2.000 Zuschauern pro Vorführung. Auch die Althoffs waren Sammler. Erhalten sind frühe Slapstick-Kompilationen mit kommentierten Stummfilmausschnitten wie „Lustiger Kintopp aus den Jahren 1904 bis 1906“ oder „Allez Hop! Artistik und Humor aus der Kinderstube der Kinematographie ab 1903“. Damals brauchte man nicht unbedingt Löwen und Elefanten, um ein Zirkuszelt zu füllen. Es reichten eine Leinwand und Film. Und ein unterhaltsamer Zirkusdirektor.

■ Im April findet im Arsenal wieder ein „Filmspotting“ statt