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Archiv-Artikel

„Zum Schluss noch was Positives“

„Ich trinke nicht mit dem Bart. Und ich esse auch nichts. Ich hab’ ständig die Haare im Mund. Das ist das Nervigste an dem Kostüm. Aber ich bin Moslem, ich faste, ich bin’s gewohnt“

Sein Augen leuchten, wenn Rabih Malla von Heiligabend erzählt. Und seine Stimme wird kindlich sanft. Dabei bekommt der 25-Jährige gar nicht die Geschenke – er bringt sie. Der gebürtige Libanese spielt den Weihnachtsmann, um sein Studium zu finanzieren. Zwar ist Rabih Malla gläubiger Moslem. Doch sein Einsatz beim Fest der Christen ist für ihn mehr als ein gut bezahlter Job. Schon zum fünften Mal macht er die Heiligabendtour. Früher bekam er über die studentische Arbeitsvermittlung Tusma seine Kunden zugeteilt; heute übernehmen das die Kollegen von den „Heinzelmännchen“. Sie haben seit 1949 Weihnachtsmänner und Engel im Angebot, die Betriebsfeiern, Werbeveranstaltungen, vor allem aber Familien an Heiligabend besuchen.

INTERVIEW GEREON ASMUTH

taz: Herr Malla, glauben Sie an den Weihnachtsmann?

Rabih Malla: Ich glaube nicht, dass es den einen Weihnachtsmann gibt. Es gibt viele. Und sie bringen Freude.

Auf jeden Fall glauben Sie an Allah. Ein Moslem als Weihnachtsmann, wie passt das zusammen?

Ich sehe Weihnachten eher als Fest für die Kinder. Zudem ist der Islam, anders als viele meinen, eine sehr tolerante Religion. Von daher kann ich das sehr gut vereinbaren. Ich begebe mich auch nicht auf einen Kreuzzug und versuche, alle zum Christentum zu bekehren.

Wäre es nicht eher umgekehrt?

Nein, ich lass mich davon nicht beeinflussen. Ich bin gläubiger Moslem. Ich bete zwar nicht fünfmal am Tag. Aber ich möchte auf jeden Fall mal nach Mekka pilgern. Ich faste im Ramadan. Und wenn ich Zeit habe, gehe ich freitags mit meinem Vater zur Moschee.

Was sagt Ihr Vater dazu, dass sie beim Christenfest mitspielen?

Mein Vater ist fünffacher Hadsch, er ist fünfmal nach Mekka gepilgert und sehr konservativ. Er hat zwar mal gefragt, ob das denn unbedingt sein müsse. Aber er hat sich damit abgefunden.

Wieso wurden Sie ausgerechnet Weihnachtsmann?

Ich hab’ mir regelmäßig Jobs bei der Tusma geholt, um mein Studium zu finanzieren. Irgendwann hab’ ich gesehen, dass die Weihnachtsmänner suchen. Man hat mir gesagt, morgen ist Schulung, besorg dir mal ein Kostüm. Mein Nachbar hatte noch eins. Ich hab’ mich schon gefragt: Macht man das als Moslem? Aber der Weihnachtsmann ist bloß eine Erfindung. Es gibt das Gerücht, er sei eine Idee von Coca-Cola.

Zumindest hat der Brauseproduzent den Mann mit dem roten Mantel durch seine Werbekampagnen populär gemacht. Stört Sie das?

Ich finde das total schrecklich, absolut schlimm. Dass da ein Konzern eine Figur in ein Glaubensfest eingliedert.

Aber die beruht doch auf der Figur des Nikolaus.

Den gibt es ja wirklich. Der hat ja sogar in der Türkei gelebt – auch nicht gerade ein christliches Land.

Könnten Sie sich mit dem Nikolaus leichter identifizieren?

Ja, ich spiele den auch gelegentlich.

Gibt es da einen Unterschied?

Für mich gar nicht. Ich habe dasselbe Kostüm, obwohl der Nikolaus eigentlich eine Mitra auf dem Kopf hat und diesen Stab mit der Verschnörkelung oben dran trägt. Aber das wissen die meisten gar nicht. Es klingt zwar plump, aber es reicht, wenn man einen kostümierten Menschen hat, der etwas darstellt. Eine Respektsperson, ein Symbol.

Ein Symbol für was?

Das ist die Frage. Allwissenheit vielleicht. Jemand, der die guten und die schlechten Seiten der Menschen kennt. Und der weiß, wie man die Menschen zum Guten verändert. Das ist für mich das Wichtigste am Weihnachtsmann.

Schaffen Sie das?

Ja. Eltern, bei denen ich aufgetreten bin, rufen mich an und sagen, oh, das war so toll, die Kinder haben noch Monate danach alles hundertprozentig befolgt, so wie du es gesagt hast, lieber Weihnachtsmann. Wir wollen dich unbedingt nächstes Jahr noch mal haben.

Nun sind Sie ja nicht allwissend.

Meist besuche ich die Familien vorab. Oder ich rufe an. Dann frage ich die Eltern alles Mögliche über die Kinder: Welche Freunde sie haben, was sie gerne mit denen spielen. Hat das Kind dieses Jahr irgendwas Tolles gelernt? Kann ich es loben, damit es sportlich bleibt, Dinge regelmäßig macht? Gab es schlechte Erlebnisse, die ich ansprechen kann, damit es sich nicht entmutigen lässt? Ich will, dass es sieht, dass jemand bemerkt, wenn es gut ist. Am liebsten frage ich nach Details, von denen die Kinder denken, das weiß meine Mami nicht. Als Weihnachtsmann kann ich dann sagen, ach, lieber Paul, ich hab’ gesehen, du hast den Lieblingsteller deiner Mama kaputt gemacht. Dann wird der Glaube der Kinder an den Weihnachtsmann wieder um zwei Jahre verlängert. Das ist der Moment, den ich am meisten liebe.

Das ist reiner Bluff.

Aber es ist ein schöner Bluff.

Packen Sie auch mal die Rute aus?

Gar nicht. Das ist eins unserer Prinzipien: Wir sind liebe Weihnachtsmänner.

Auch den Erwachsenen gegenüber? Mussten Sie schon mal bei einem Ehepaar das Fest retten, das sich gerade erst hat scheiden lassen?

Das kam auch schon vor. Da hatte die Frau angedeutet, mein Exmann wird dabei sein: Es wäre schön, wenn Sie den auch erwähnen könnten und ihm danken. Ich hab’ dann an Heiligabend gesagt, lieber Frank, es ist zwar schade um eure Ehe, aber vielleicht ist das der bessere Weg für euch. Und ich find’ das auch sehr schön, dass ihr dem Kind zuliebe zusammen feiert.

Funktioniert so eine Weihnachtsansprache auch bei Erwachsenen?

Wenn es so wäre, würde ich hauptberuflich Weihnachtsmann spielen. Aber ich bin kein Psychologe. Mit der kurzen Show – meist ist das ja nur eine Viertelstunde – kann man nicht unbedingt eine Familie retten.

Ist schon mal in Ihrer Anwesenheit ein Familienstreit eskaliert?

Eskalationen hatte ich zum Glück noch nicht. Aber manchmal standen Menschen schon sehr am Rand und hatten nur abfällige Blicke für die Freunde oder Verwandten übrig – selbst wenn die Kinder gerade die Geschenke auspackten.

Schleppen Sie die Geschenke eigentlich den ganzen Abend durch die Stadt?

Nein. Wenn ich die Familien vorab besuche, lasse ich schon einen Jutesack da. An Heiligabend rufe ich dann fünf Minuten vorher an und sage, hallo, hier ist Onkel Roy – falls die Kinder dran gehen. Die Eltern stellen den Sack raus. Und ich klopfe dreimal laut und deutlich.

Sie könnten auch klingeln.

Der Weihnachtsmann klingelt nicht! Das ist elektrisch.

Okay, Sie klopfen an. Und dann?

Meist werden die Kinder zur Tür geschickt. Dann hat man sooo große Augen vor sich. Oh, der Weihnachtsmann bei uns zu Hause. Ich frage, bin ich hier richtig bei Familie Müller, Meier, Schulz, darf ich reinkommen, lieber Paul? Ich nehm das Kind an die Hand, es führt mich ins Wohnzimmer. Dort lobe ich den geschmückten Baum oder die selbst gebackenen Kekse. Meist wollen mir die Eltern dann Glühwein andrehen.

Trinken Sie den durch den Bart?

Nein, ich ess’ auch nicht mit Bart. Ich hab’ ständig die Haare im Mund. Das ist das Nervigste an dem Kostüm. Aber ich bin Moslem, ich faste, ich bin’s gewohnt.

Wie geht es weiter?

Viele Familien spielen gerne Musik, weihnachtliche Lieder. Ich geh erst mal zur Anlage: aus! Fernseher: aus!

Lassen Sie lieber selber singen?

Klar. Christliche Lieder. Aber ich bringe auch islamische Sachen rüber.

Aha?

Ich habe keine Mission. Aber ich gebe christlichen Kindern christliche und islamischen Kindern islamische Sachen.

Wo trifft der Weihnachtsmann denn islamische Kinder?

Letztes Jahr hat zum Beispiel eine Vermieterin eine Feier für ihr ganzes Haus organisiert. Da war auch eine arabische Familie. Wir haben erst alle zusammen gesungen, allerdings nur die Kinder. Die lernen die Lieder in der Schule. Später hab ich mit den Erwachsenen Arabisch geredet. Die haben dann gesagt, was, der Weihnachtsmann kann auch Arabisch? Ab dem Moment waren sie integriert, haben mitgemacht. Einen Dreijährigen hab’ ich gefragt: Ja, kannst du denn auch die Fatiha aufsagen? Das ist die wichtigste Sure bei uns im Islam. Das bekommen die Kinder von klein auf mit. Ich hab’ ihm geholfen, wie ich das bei Deutschen auch mache, wenn sie ein Gedicht aufsagen. Aber die Eltern haben stolz mit breitem Grinsen dagesessen.

Zurück unter den Tannenbaum.

Ich bitte das Kind zu mir in den Mittelpunkt. Wenn es Angst hat, versuch ich es zu bestechen: Komm lieber Paul, magst du ein Bonbon? Ich bin der Weihnachtsmann, ich darf bestechen.

Aber was machen Sie, wenn ein Kind Ihre Autorität in Frage stellt?

Offenbar ist mein Kostüm akzeptabel und ich strahle eine natürliche Autorität aus. In fünf Jahren hat sich noch kein Kind getraut, an meinem Bart zu ziehen. Nur Erwachsene haben das versucht.

Müssen Sie sich das Kostüm eigentlich selber beschaffen?

Ja. Die ersten zwei Jahre hab’ ich mir eins geliehen. Aber dann war der Job so schön, dass ich mir ein eigenes gekauft habe, für rund 90 bis 100 Euro.

Was gehört zum Equipment?

Von unten: Stiefel. Auf keinen Fall Turnschuhe, der Weihnachtsmann ist kein Sportler, der muss durch tiefen Schnee, da darf er nicht wegrutschen. Dann: schwarze Hose. Kein Jeans. Natürlich der rote Mantel. Bart, am besten noch eine Perücke. Die Mütze. Und das goldene Buch. Das muss der Weihnachtsmann immer so vor sich halten, damit die Kinder nicht reingucken können. Denn das sind meistens irgendwelche Unibücher, eingeschlagen in Goldfolie.

Sie nehmen irgendein Lehrbuch?

Ja, ich kann das gerne mal zeigen. Hier kommt noch ’ne goldene Glocke dran. Aber das ist eigentlich ein Buch über Bionik. Schöne bunte Bilder drin. Da leg ich dann meine Informationen rein.

Was machen Sie, wenn Eltern ihre Kinder als Drachen beschreiben?

Das kann ich nicht immer übernehmen. Oder ich muss sehr tief graben, bis die Eltern was Positives sagen. Das Kind ist so schlimm, putzt sich nie die Zähne, von der Lehrerin kommen nur Klagen, im Sportverein ärgert es die anderen. Da versuch’ ich, positive Sachen rauszuholen. Zum Beispiel, wenn es in den Sportverein geht: Das Kind ist sehr sportlich. Spielst du gerne Fußball? Du hast bestimmt schon ein Tor geschossen. Ich will einem Kind nicht nur sagen, du bist schlecht, trotzdem kriegst du Geschenke. Das ist nicht der Sinn der Sache.

Was dann?

Ich beginne immer mit Positivem, dann Negatives und zum Abschluss auf jeden Fall noch was Positives. Kinder merken sich immer das, was zum Schluss kam. Du machst ja deine Hausaufgaben nicht so regelmäßig, versprichst du mir, dass du das ab jetzt machst? Aber ich hab’ auch gesehen, du kümmerst dich sehr gut um dein Schwesterchen. Dadurch entlastest du ja auch deine Mama. Du hast die Mami lieb, dann gib ihr mal einen Kuss. Da freuen sich auch die Mütter, wenn sie mit einbezogen werden.

Danach gibt es die Geschenke?

Wenn alle mit Auspacken beschäftigt sind, werde ich unwichtig und kann mich unauffällig aus dem Staub machen.

Und danach? Feiern Sie noch selber?

Nein. Ich hab an Heiligabend sonst gar nichts zu tun. Wir zu Hause feiern nicht. Meine Freunde sind alle unterwegs bei ihren Familien. Und weggehen kann man auch nicht. Mit wem denn? Von daher ist Weihnachtsmann der perfekte Job für diese Tage.

Infos per Telefon unter (0 30) 84 31-22 22 oder unter www.berliner-weihnachtsmann.de