Retrospektive Martin Kippenberger: Freies Essen auf Lebenszeit

Es ist die erste große Ausstellung, die den Berliner Künstler Martin Kippenberger würdigt: „Sehr gut, very good“ zeigt seine Auseinandersetzung mit Joseph Beuys.

„Füße zuerst“! Kippenberger im Hamburger Bahnhof. Bild: dpa

So defensiv hatte ich Kippenberger eigentlich nicht in Erinnerung. Und so dokumentarisch, aber dazu später. Seine Replik auf Joseph Beuys Diktum „Jeder Mensch ein Künstler“ jedenfalls war ein eher fades „Jeder Künstler ein Mensch“.

Dieser Satz hängt gleich im Eingangsraum seiner Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin, und geradezu automatisch hallt ein „auch nur ein Mensch“ mit. Heißt es deshalb in diesem Raum auch gleich für sein Alter Ego – bekleidet mit einem blauweißen Karohemd und von Hosenträgern gehaltenen Beinkleidern: „Martin, ab in die Ecke und schäm dich“ (1989)?

Das wäre jedenfalls eine gute Idee. Doch bei genauerem Hinsehen ist dieser Auftakt dem Ausstellungsort geschuldet. Das Berliner Museum für Gegenwartskunst, das nun den Künstler, der in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag feiern würde, überhaupt zum ersten Mal in Berlin groß vorstellt, hat eine bedeutende Beuys-Sammlung.

Das legt nahe, die Schau mit Kippenbergers Auseinandersetzung mit Beuys zu eröffnen und damit zu signalisieren, dass der Künstler/Appropriateur Kippenberger im Vordergrund steht, weniger Kippi, der Mensch, der sexistische Schreihals, der grandiose Alleinunterhalter, Witzbold und alkoholkranke Berserker.

Anmaßung und Spott

„Ja, ja, nee, nee“, tönt es also durch den Raum. Anders als sonst nicht von Beuys, sondern von Kippenberger gesprochen. Ein In-house joke gewissermaßen. Ein Plakat zeigt den jungen Mann im berühmten Filzanzug des Kunstschamanen auf einer Skulptur seines Lehrers an der Akademie in Hamburg, Arnold Hauser, sitzend. Die Kombipackung von Anmaßung und Spott, über sich selbst und seine Ambitionen wie über die des großen Kollegen und Kontrahenten gab es von Anfang an. Beuys spielt mit und ist Spielverderber zugleich, denn er signiert das Plakat, drückt ihm aber auch den Stempel „die Grünen“ auf.

Das Kippenberger-Selbstporträt „Die Mutter von Joseph Beuys“ vermisst man dann allerdings in diesem Raum. Überhaupt fällt der äußerst aufgeräumte Eindruck auf, den die Ausstellung macht. Anders als gewohnt sind die Bilder, Fotos, Plakate, Drucke, und Zeichnungen nicht dicht an dicht gehängt, sondern sie haben, wie das runde Dutzend skulpturaler Werke, richtig Platz. Diese zunächst befremdliche Einrichtung ist nicht nur, aber doch entscheidend dem Umstand geschuldet, dass die heutigen Preise für Kippenberger auch die Transport- und Versicherungskosten so in die Höhe treiben, dass großartige Ausleihaktionen für das Berliner Museum nicht möglich sind.

Auf eine Großinstallation wie das riesige Skulpturenfeld aus Hochständen und ausrangierten Büro- und Wohnzimmermöbeln „The Happy End of Franz Kafka’s ’Amerika‘ “ (1994) und damit auf den Begriff der Retrospektive verzichtet man daher im Hamburger Bahnhof. Auf den Sexisten übrigens auch. Kein „Neger haben einen Längeren – stimmt nicht!“ (1982), nirgendwo. Ob glücklicherweise oder leider, das ist gar nicht so leicht zu sagen, auch wann man spontan sagen möchte, das braucht es nun wirklich nicht. Denn es stellt sich doch die Frage, ob der Kippi gegenüber dem Künstler Martin Kippenberger nicht doch zu sehr in den Hintergrund gerät, wobei Letzterer doch ohne Ersteren nicht wirklich zu haben ist.

Wie schon gesagt, so defensiv erinnere ich Kippenberger nicht, wie er jetzt in „Sehr gut – Very Good“ auftritt. Der Titel der Retrospektive bezieht sich übrigens auf eine 1979 in Berlin vom Künstler herausgegebene Anthologie. Und damit ist man auch schon im zweiten Raum, wo man nur deshalb mit David Bowie „Where are we now?“ fragen möchte, weil man es schon von Weitem sieht. Wir sind in Berlin. 1978 bis 1980. Nicht im Dschungel wie Bowie jetzt retrospektiv die späten siebziger Jahre in der Mauerstadt beschwört, dafür in der „Paris Bar“, die Kippenberger allerdings erst 1993 von Filmplakatmaler Götz Valien malen ließ.

2009 wurde das Bild, das jetzt eine ganze Wand für sich allein hat, in London beim Auktionshaus Christie’s für 2,7 Millionen Euro an den französischen Großsammler François Pinault losgeschlagen. Übers Eck hängen 56 Teile der Serie „Uno di voi, un tedesco in Firenze“ (1976–77), die Kippenberger nach Postkarten und vor Ort in Florenz entstandenen Fotos malte. 1979 überlässt er die Bilder Michel Würthle, der die Paris Bar betreibt und sie dort aufhängt. Im Gegenzug erhält der Künstler freies Essen für sich und eine weitere Person auf Lebenszeit.

Solche Arbeiten und Bildserien, nicht das einzelne, groß an der Wand hochgezogene Foto aus Kippenbergers privatem Fotoalbum, das dem jeweiligen Raum in der Riekhalle des Hamburger Bahnhofs gewissermaßen sein Motto gibt, machen den Ausstellungsrundgang zu einem Blättern im Familienalbum, wobei die Familie natürlich eine dieser postmodernen Patchwork-Großfamilien ist. Anhand der Plakate lernen wir sämtliche seiner Galeristen kennen, über die Plattencover seine Mitmusiker und Mitveranstalter. Das Gleiche gilt für die Bücher, die uns mit seinen Künstlerfreunden und sonstigen Mitstreitern und Mitstreiterinnen bekannt machen.

Claudia Skoda gehört dazu, inzwischen durch ihre Strick-Haut-Couture weithin bekannt. Der 2003 unter Holzbohlen wiederaufgefundene Fotofußboden, den Kippenberger aus 1.300 Aufnahmen von Skoda und ihren Freunden montiert hatte, findet sich auf dem Weg vom Museum ins Museumscafé. Die Hotelzeichnungen, die in den kleinen Kabinetten der Riekhalle hängen, erzählen von Kippenbergers Kölner Zeit, wo er im Hotel Chelsea wohnte, die auf Spiegel hingeworfenen Karikaturen, etwa von Louis de Funès, gehen auf die Fünfjahresfeier des Café Central im Hotel Chelsea zurück.

Wenig welthaltig

So dokumentarisch hatte ich Kippenbergers Werk nicht in Erinnerung. Und so wenig welthaltig. Die Kreise, in denen er sich bewegt und deren Attitüden er sehr zeitnah in seinen Arbeiten festhält, sind doch sehr übersichtlich. Und sehr lokal. Auch wenn die Reise mal nach New York, Los Angeles oder nach Griechenland geht. Den Schwarzwald nicht zu vergessen. 1988 entdeckt der 35-jährige Kippenberger seinen kräftigen Bauchansatz. Das ist dann einen eigenen Kalender, „Elite 88“, wert. Und die Kumpanei mit Picasso, der eine, wie Kippenberger meint, ihm ähnliche Genialität zeigt und dazu ähnlich voluminöse Unterhosen, wie sie auch Kippi schätzt. So geht das dahin, sehr lustig und auch ein bisschen fad.

„Sehr gut – Very Good“ ist chronologisch und gleichzeitig auch noch in Themenräumen organisiert. Letztere – gern mit einem Motto bedacht, Kippenberger liefert jetzt Sentenzen wie „Herrenwitze sind so wichtig wie der liebe Gott“ oder „Berlin muss neu gestrichen werden“ – sind eine Spezialität des Hamburger Bahnhofs. Meiner Erfahrung nach funktionieren sie nur selten. Jetzt klappt es erstaunlich gut.

Seine Verfallenheit an den subkulturellen Zeitgeist und seine Antihaltung zur Geschichte scheinen die Serie „Acht Bilder zum Nachdenken, ob es so weitergehen kann“ (1983) und das gegenübergestellte Bild „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“ (1984) zu negieren. Der Künstler als junger Mann fragt sich in den achtziger Jahren, ja, muss sich fragen, wie er sich positionieren kann, über seine Affinität zur Gegenkultur, zu Punk und schlechten (Massen-)Geschmack hinaus oder eben dem in Kunst und Literatur schon Standard gewordenen selbstreflexiven Bezug auf den Nationalsozialismus, mit dem auch Beuys oder Richter operieren. Die Achtziger, das war, noch bevor aufstrebende Künstler im Habitus des Jungmanagers ihr Role model entdeckten.

Die wankende Straßenlaterne

Das Leitmotiv von Kippenberger ist da die wankende Straßenlaterne, von deren Metamorphosen gleich mehrere zu sehen sind. Er ist also zu Beginn der neunziger Jahre noch immer auf die Pointe aus. „Fred the Frog Rings the Bell bzw. Was ist der Unterschied zwischen Casanova und Jesus: Der Gesichtsausdruck beim Nageln“ (1990), also der Frosch am Kreuz mit dem Handtäschchen und in weiteren Varianten dazu mit Spiegelei, hat noch mal einiges zu quaken über das Erlösungsversprechen der Kunst und die Gottähnlichkeit des Künstlers. Aber sichtlich beginnt sich Kippenbergers Welt zu weiten. Er braucht die begeisterten oder empörten Zuschauer, die genervten Kumpels und die Feindbilder längst nicht mehr so dringend wie früher.

Gerade war er noch jung, da ist er, obwohl erst Anfang vierzig, doch schon sehr alt. Gezeichnet vom Alkohol und anderen Exzessen erkennt er sich auf Géricaults „Floß der Medusa“ (1819) wieder. Seine Ehefrau, Elfie Semotan, fotografiert ihn in den Posen der Schiffbrüchigen, die Aufnahmen sind für ihn Grundlage von Zeichnungen und Gemälden, in denen er mit seinem vorangegangenen künstlerischen Verfahren bricht. Er malt selbst, zeigt, dass er es kann, jetzt endlich ist es ist ihm ganz unzweideutig ernst mit der Frage, wie er sich positioniert hat als Künstler, und inwieweit ihn seine Lust an der Performance und Selbstdarstellung vielleicht auf den falschen Dampfer setzte.

Ein bisschen esoterisch, mit einem Touch fernöstlicher Todesmystik, wirkt dann der letzte Raum, mit den fugenlos in die weiße Wand eingelassenen „Weißen Bildern“. Tritt man an die elf weißen Leinwände näher heran, ist eine durchsichtig glänzende Kinderschrift zu erkennen, die Kippenbergers Arbeiten durchweg mit der Note „sehr gut“ bewerten, natürlich im Auftrag Kippenbergers.

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