Punk-Sänger Jens Rachut: „Ich bin da so reingerutscht“

Der Hamburger Punk-Musiker Jens Rachut schert sich wenig darum, was andere von ihm denken. Manche nennen das Integrität.

Hat früher gern Schach gespielt: Jens Rachut, legendärer Typ. Bild: Miguel Ferraz

Jens Rachut ist eigentlich immer da gewesen. Seit ich mich erinnern kann zumindest. Seine Band hieß damals Blumen am Arsch der Hölle. Das fanden wir toll. Den Namen, aber auch die Band. Vorher gab es Angeschissen, danach Dackelblut und Oma Hans. Nebenher rief er mit Brezel Göring von Stereo Total das Kommando Sonne-nmilch ins Leben, und vor zwei Jahren gründete er mit Frankie Stubbs von Leatherface die Band: NRFB. Ausgeschrieben heißt das: Nuclear Raped Fuck Bomb – natürlich ein prima Name für eine Band.

Stubbs ist heute nicht mehr dabei. „Der ist einfach nicht wiedergekommen“, erzählt Jens Rachut, der sich nicht nur die schönen Band-Namen ausdachte, sondern auch die oft elliptischen Texte für deren Songs schrieb. Über „heilbringenden Urin“, Terroristen und den Tag vor dem 11. September. Grausiges wird zu schierer Poesie: „Die Boote platzen leise in der Nähe von Murmansk.“ Ob das jemand versteht, ist Rachut egal. In einem seiner seltenen Interviews sagte er mal: „Ich habe einfach keine Lust, mich mitzuteilen.“

Weswegen er eigentlich keine Interviews gibt. Aber da sitzen sie nun, Rachut und seine Bandkollegen Thomas Wenzel und Mense Reents: Interviewtage, „face to face“, wie man das im Musikgeschäft nennt, mit Fototermin, rechtzeitig vor Erscheinen des neuen Albums. „Jetzt machen wir’s mal so“, sagt Rachut. „Früher hab ich immer ein Interview pro Platte gegeben, es ist nicht so, dass wir das gar nicht gemacht haben. Aber jetzt machen wir das wegen dem Label. Nicht weil ich jetzt so ’ne Rampensau wäre und unbedingt in der Zeitung sein will.“

„Trüffelbürste“ heißt das neue Album von NRFB. Es klingt anders. Thomas Wenzel hat die Saiten seiner Gitarre abgeklebt, sodass das Instrument manchmal nach einem Daumenklavier klingt. Es gibt akustische Gitarren zu hören – den Punk-Rock hat Frankie Stubbs mitgenommen. Die Elektronik ist – mit Mense Reents – geblieben. Auch noch in der Band sind Armin Nagel, der schon bei Oma Hans dabei war, die Thalia-Theater-Schauspielerin Lisa Hagmeister und Becci Ohms.

Ist das noch Punk? Das ist Rachut so egal wie das ganze Gerede, das fällig wird, wenn es in der Presse um ihn geht. Punk? Was ist das überhaupt? Er will Musik machen, zu seinen Bedingungen. Nur, davon zu leben ist schwierig. Höchstens auf Tour kommt ein bisschen was rum.

So ist das leider oft mit Sachen, die nicht einfach nur ein Job sind: Man macht sie eben trotzdem. Und wenn sie zu einem Job zu verkommen drohen, muss schnell was anderes her. Noch weiter Kommando Sonne-nmilch zu machen, findet Rachut zum Beispiel, sei langweilig, weshalb die Band dieses Jahr noch ein paar Konzerte spielt, dann ist Schluss.

Marketing-Strategen würden sich die Haare raufen. Für Rachut sind andere Dinge wichtiger. „Wir sind in der Lage, die Musik zu machen, auf die wir Bock haben, ohne Rücksicht auf Verkaufszahlen. Ich will nur nicht, dass das Label in den Miesen hängt. Aber ob ich nun Drei-, Vier- oder Fünftausend verkaufe, ist mir wurst.“

Dass Rachut bei seiner Musik keine Kompromisse macht, ist sicherlich ein Grund für seinen Status. Und dass der ihm so egal ist, ein weiterer. Manche nennen das Integrität. Das sind meistens die, die nicht drin stecken in der Situation, in der andere integer bleiben. Integrität muss man sich schon leisten können.

Vor dreizehn Jahren hat er angefangen, Theater zu spielen. „Ich bin da so reingerutscht.“ Das Stück hieß „Die Palette“ und war Schorsch Kameruns erste Regiearbeit am Hamburger Schauspielhaus. Rachut und Kamerun kannten sich natürlich schon ewig. Ich konnte mir Rachut damals irgendwie nicht so richtig im Stadttheater vorstellen. Auf der Bühne ergab das dennoch einen Sinn.

„Theater ist anstrengend, weil die so viel labern“, sagt Rachut. „Beim Musikmachen ist das viel einfacher. Da denkt jemand, da muss ’ne Trompete rauf, fertig. Das probiert man einfach aus. Im Theater sitzen die rum und labern stundenlang über einen Knopf. Das Proben selber, das Quatschmachen, das Ausprobieren, das ist okay, aber sobald es ernst wird und so heilig, dann ist das nicht so meins.“

Aber es ist eben ein Job. „Die zahlen ziemlich gut teilweise. Da kriegst du manchmal utopische Summen“, sagt Rachut. Thomas Wenzel, der selbst gelegentlich Musik fürs Theater macht, ergänzt: „Deswegen machen das so viele Leute. Das ist eine Nische, wo eben noch was weitergereicht wird.“

Auch in die Sache mit den Hörspielen ist Rachut „so reingerutscht“. Jacques Palminger, der früher bei Dackelblut Schlagzeug spielte, und Rocko Schamoni hatten gerade eins verkauft. „Rocko sagte mir: Schick da doch mal was hin. Dann hab ich denen den ,Seuchenprinz‘ geschickt, dafür gab’s Geld.“

Ein Job. Einer mit dem man leben kann. Auch als Roadie war Rachut unterwegs, mit den Goldenen Zitronen. Und irgendwann trafen wir uns auf einer Sexmesse in Bremen, wo wir beide einen Job machten. Er, weil der Veranstalter ein alter Bekannter aus Hamburg war. Ich, weil ein gemeinsamer Freund mich gefragt hatte.

Zur Crew gehörten noch ein paar Typen aus der Hamburger Punk-Ursuppe. Das war lange vor dem Theater. Aber im Grunde hat sich nicht so viel geändert. „Man kann sich das ja nicht aussuchen. Da kommen ja nicht immer drei Stadttheater und bieten einem etwas an. Wir hangeln uns von Job zu Job, wie du wahrscheinlich auch. Manchmal ist es total super, manchmal ist es aber auch wahnsinnig anstrengend, weil du wirklich nicht weißt, was im nächsten halben Jahr kommt.“

Eher als Scherz frage ich, ob er denn nicht auch mal ein Buch herausbringen will. „Ja, ich bin dran, aber ich muss das noch verschieben. Ich will versuchen, das im August, September fertig zu machen. Ich hab schon achtzig Seiten.“ Memoiren? „Nein, bist du wahnsinnig? Das ist ein Roman. Ich muss das jetzt nur noch so schreiben, dass man das versteht. Ich hab ja die Stärke, mit großer Begeisterung unverständliche Sachen aufzuschreiben, wo alle immer sagen: Das klingt gut, aber ich versteh das nicht.“

Was dann kommt? „Geht halt weiter.“ Malen tut er auch noch, eine Ausstellung soll es bald geben, mit „abstrakten Schachbrettern“. Die „haben nicht die richtige Anzahl der Felder, und sie sind nicht eckig. Ich hab früher gern Schach gespielt und mich damit beschäftigt, als Bobby Fischer noch gespielt hat. Ich hab sogar die Partien nachgespielt.“

NRFB: „Trüffelbürste“, ab 14. Juni (Staatsakt / Major Label)
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