"Foreign Affairs"-Festival: Kunst und Volk im Großraumwagen

Beim Unwahrscheinlichkeitsdrive geht es ganz luxuriös mit einer Stretchlimousine durch die Stadt. Ein Testbesuch bei dem schlingensiefisch charmanten Fahrbetrieb.

Die Stretchlimousine vor dem Haus der Festspiele Bild: Piero Chiussi

Die beste Sequenz von David Cronenbergs Don-DeLillo-Verfilmung „Cosmopolis“ ist vermutlich die, in der sich Robert Pattinson in der Hauptrolle als junges Spekulantengenie in seiner fahrenden Stretchlimousine einer Prostatauntersuchung seitens seines Privatarzts unterzieht und gleichzeitig mit seiner Cheftheoretikerin flirtet, die er soeben vom Joggen aufgegabelt hat und die ihm nun verschwitzt gegenübersitzt. „Ich weiß, was du bist … Eine Frau, die geboren wurde, um angeschnallt dazusitzen, während ihr ein Mann sagt, wie sehr sie ihn erregt“, sagt er. „Wieso haben wir eigentlich nie so einen Moment zusammen erlebt“, fragt sie schließlich erregt.

Nun, angeschnallt sitzen wir nicht, als wir am Sonntagnachmittag vom Hermannplatz aus in Richtung Moabit fahren. Und zwar in einer Stretchlimo. Genauer: einem Lincoln Town Car, umgebaut von der Firma Krystal. Es handelt sich um eine ausgemusterte, schlichtweg in der Wüste nahe dem Flughafen von Dubai abgesetzte und verlassene Stretchlimo. Keine Ahnung, wie sie den Weg nach Berlin gefunden hat. Wer sein ehemaliger Besitzer war und was mit ihm passiert ist.

Gelandet ist sie jedenfalls bei der sogenannten Geheimagentur und bei Joshua Sofaer, und die haben sich die Aktion mit der Stretchlimousine ausgedacht, den sogenannten Unwahrscheinlichkeitsdrive. Im Zuge der „Foreign Affairs“, des „internationalen Festivals für Theater und performative Künste“ bei den Berliner Festspielen, findet dieser Drive gut zehnmal statt, bis am 12. Juli bei der Schlusspräsentation der Wagen – ja, wirklich – verschenkt wird.

Der Unwahrscheinlichkeitsdrive ist ein Programmpunkt der „Foreign Affairs“, dem bis 14. Juli dauernden „Festival für Theater und performative Künste“ der Berliner Festspiele. An diesem Mittwoch findet ein Unwahrscheinlichkeitsdrive als mobile Versammlung statt, als Feier der „Real-Democracy-Bewegungen“ mit Originalsounds vom Taksim- und vomSyntagma-Platz. Start ist um 12 Uhr an der Türkischen Botschaft in der Tiergartenstraße 19–21, Zielort ist die Griechische Botschaft. Die in der Limousine keinen Platz finden, laufen um die Limo herum so mit. Am12. Juliwerden die Ergebnisse der Testfahrten mit der Stretchlimousine im Haus der Berliner Festspiele präsentiert. 19 Uhr, 10/7 Euro. Die Eintrittskarte ermöglicht auch den Besuch des anschließenden Auftakts des Performance- Wochenendes in den KW Institute for Contemporary Arts via Bus-Shuttle. www.berlinerfestspiele.de

Verschenkt aber wird er nicht an irgendwen. Sondern an den oder die TeilnehmerIn, deren Drive „am unwahrscheinlichsten“ geraten ist. Heißt: Welche Idee klingt absolut unmöglich, klappt am Ende aber doch? Dafür gibt es Punkte. Immer in der Hauptrolle dabei: die Stretchlimousine.

An diesem Sonntag versucht sich die Familie Schlippenbach. Sie hat es bereits geschafft, einen Angestellten eines global operierenden Mineralölkonzerns, sprich einen Tankwart, dazu zu bringen, beim Abschleppen zu helfen. Nur ein erster Test, um zu schauen, ob überhaupt jemand bei so einer Luxuskarosse mit Hand anlegen würde. Nun sind wir illegal nach Moabit unterwegs. Illegal, weil wir zu neunt sind, und erlaubt sind in der Limousine nur acht Fahrgäste. Nach Moabit, weil dort Vater Schlippenbach wohnt, der sich soeben bereit erklärt hat, ein Privatkonzert am Jazzklavier für uns zu geben.

Diese Unwahrscheinlichkeitsrechnung klingt sehr simpel, auch wenn sie zunächst kompliziert daherkommt. Die Geheimagentin, die offiziell natürlich namenlos bleibt, sowie Joshua Sofaer, Künstler aus Cambridge, haben das Prinzip hinter dieser Autogeschichte zunächst überaus wortreich erklärt. Vielleicht muss diese Idee, dachte ich da, auch so situationistisch-verstiegen daherkommen, ansonsten könnte sie ja schlicht die Idee eines gut gelaunten Fernsehteams sein.

Schließlich hat das Ganze in der direkten Umsetzung auch eher so einen schlingensiefschen Charme. Etwas Improvisation, tatsächlich unmögliche Aktionen, und am Ende kommt so ein familiäres Gefühl dabei raus. Kunst und Volk zusammen. In einem Auto. Die Schlippenbachs, die mal ein „von“ im Namen hatten, haben das Prinzip nämlich schon ganz richtig verstanden. Sie haben außer mir am Hermannplatz auch gleich Tina aufgepickt, eine frühpensionierte Lehrerin, ursprünglich aus Peru. Sie hat tatsächlich schon einmal in einem solchen Wagen gesessen, früher in Peru, freut sich jetzt aber auf das Konzert.

Die hochfinanzkapitalistische Note, die Dekadenz dieses Gefährts jedenfalls verliert sich relativ schnell. Das Ding schwankt wie ein Schiff und droht jederzeit auseinanderzubrechen. Trotzdem sind die Reaktionen draußen vornehmlich abweisende, ganz à la „Luxus – ich bin dagegen“. Es ist fast schade, dass das „Cosmopolis“-Gefühl sich nicht wirklich einstellen will. Und doch ist dieser Unwahrscheinlichkeitsdrive ein Erlebnis. Ich meine, wann erlebt man denn schon so was? Eben!

Es stellen sich auch ganz praktische Probleme mit diesem Ding: Wo parken? Wie links abbiegen?

Am Ende jedenfalls finden sich alle in einem schallisolierten Raum und lauschen einem sehr guten Kurzkonzert von Schlippenbach. Wenig später steigen Tina und ich am Hermannplatz wieder aus. Sehr unwahrscheinlich, das Ganze.

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