Kunst im Grünen: Geheimnis der Wäschespinne

Die Stadt Stade hat ihre Wallanlage zum Skulpturenpark erklärt. Nun kann man auf Wanderungen zwischen Wäschespinne und Zeitkapsel Grundfragen nach dem Wesen der Kunst stellen

Knud Plambecks Antwort auf das Stader Kriegerdenkmal: ein Ruderboot Bild: Martin Elsen

Vorneweg: Stade ist gar nicht so schlecht. Es ist eine hutzelige Kleinstadt, ja, das durchaus, aber es gibt einen ordentlichen Altstadtkern, dicht besetzt mit soliden Backsteinbauten, die leuchten, wenn nachmittags das Licht milde auf sie fällt. Es gibt das obligatorische Heimatmuseum, das zeigt, wie Stade wuchs, einst sogar einer Stadt wie Hamburg die Stirn bieten konnte, bis alles wieder niederging und Stade sich mit dem Status einer Kreis- und damit lokalen Verwaltungsstadt arrangieren musste. Und es gibt ein Kunsthaus, dessen Betreiber und Förderer emsig bestrebt sind, neben der klassisch-modernen immer auch die aktuelle, also derzeit existierende Kunst vorzuzeigen und für sie zu werben, was in einer Stadt wie Stade nicht ganz einfach ist.

In diesem Sommer gibt es dazu Unterstützung durch einen Skulpturenpark, zu dem man die Stader Wallanlagen erklärt hat. Und auch wer schon des öfteren in Stade war, dem wird nun erst auffallen, dass Stades Innenstadt von einem Ring aus recht soliden Grünanlagen umfasst ist, plus einem gut gefüllten Burggraben.

Ort der Verlorenen

Sinnigerweise beginnt der amtliche Skulpturenparkrundweg am Bahnhof; dem Ort, an dem sich die Verlorenen und Erschöpften mal treffen, mal lang anhaltend aufhalten, vielleicht weil sie die unbesiegbare Hoffnung haben, sie könnten eines Tages ihrem Schicksal entfliehen und den Ort ihres Unglücks dann vorsichtig erhobenen Hauptes verlassen – in diesem Fall Stade. Hier am Bahnhof gibt es ein Informationshäuschen, dort erhält der Interessierte eine Wanderkarte mit den eingezeichneten Skulpturenstandorten sowie einen Prospekt zu dem von dem Hamburger Sammler Rik Reinking kuratierten Projekt.

Vielleicht ist auch der freundliche, ältere Herr zugegen, der einen lobt, wenn man eigens für den Skulpturenpark nach Stade gekommen ist und vielleicht auch anschließend in der schon erwähnten Altstadt Kaffeetrinken gehen wird, aber nicht umgekehrt: „So soll es ja auch sein!“, meint er dann.

„Es gibt manches, dafür ist mein kleines Hirn zu klein“, sagt er vielleicht anschließend lachend und klopft sich an den Kopf und meint damit, dass sich ihm nicht jeder Sinn all der aufgestellten Skulpturen so ganz erschließen würde. Aber von dieser, seiner ganz eigenen Meinung solle man sich nicht schrecken lassen!

Kunst oder etwas anderes

Und er weist vielleicht auf die erste weithin sichtbare Arbeit hin, ein filigranes, mit blauen und orangen Fäden bespanntes Drehgestell von Katharine Harvey, die er ganz für sich privat die „Wäschespinne“ nennt und die sich mal langsam, mal schneller dreht, mal auch stehen bleibt: „Vielleicht können Sie ja damit etwas anfangen.“

Und das ist ja schließlich eine durchaus kluge Bemerkung, denn Skulpturenparks spielen stets damit, dass man nach recht kurzer Zeit alles, was da links und rechts des Weges herumsteht, mal misstrauisch, mal neugierig danach befragt, ob es Kunst ist oder vielleicht etwas ganz anderes.

Gut gefällt daher die Arbeit von Malte Urbschat, der als alter Skater nicht an der nahe des Bahnhofs gelegenen Stader Skateranlage vorbeigekommen ist und unter die Decke der Anlage zwei in Alufolie gewickelte Körper gehängt hat. Der Skater als Mumie? Oder verschwunden im Kokon, aus dem er sich eines Tages entpuppen wird?

Im sich anschließenden Park, der auch hier Bürgerpark heißt, folgen dann eher klassische Skulpturen, wie die halbrunde Eisenplatte von Wulf Kirschner oder das Tor, das Madeleine Dietz in die Erde eingegraben hat. Richtig prima sind drei Arbeiten, für die man etwas Einsatz zeigen muss: nämlich einen kleinen Hügel empor kraxeln, bis man auf der Güldenstern-Bastion steht. Hier steht eines der Kriegerdenkmäler Stades, ein trotzig-mächtiger Klotz in deprimierendem Betongrau, verziert mit Sternschnuppe, Herz, Eichenblatt und Stahlhelm. Knud Plambeck antwortet darauf mit einem in der Mitte auseinandergesägtem Ruderboot, das er falsch wieder zusammengesetzt hat, so dass ein Entkommen nicht mehr möglich ist.

Streetartist Boxi dagegen greift mit einer verschlossenen Stahlkiste namens „TC15082K10 Time Capsule“ die Frage auf, ob und was sich eigentlich im Inneren solcher Kriegerdenkmale befindet. Ganz anders stark ist die Arbeit der Japanerin Nobuko Watabiki, die sechs kaum mehr als faustgroße Steine eng mit weißem Faden umwickelt und also eingesponnen hat, die nun nebenan im Gras liegen.

Und tatsächlich, es funktioniert: Man steht vor diesen Steinen, man hockt sich hin und schaut sie an und ihnen entströmt eine ganz eigene Anmutung von Trauer und Empfindung. Und dass sie überhaupt noch da sind! Dass sie nicht einfach jemand ins nächste Gebüsch gepfeffert hat. Dass sie nicht jemand mitgenommen hat, als Mitbringsel, als Briefbeschwerer.

Nur ein kurzer Scherz

Andere skulpturale Arbeiten fallen dagegen deutlich ab: Matthias Bertholds verstreute Blechschilder etwa, bieten sie mit Anweisungen wie „Verhalten Sie sich natürlich“ doch nicht mehr als einen kurzen Scherz. Schon weit mehr zum Nachdenken verführt Baldur Burwitz lustige Arbeit „Je ne suis pas une pipe/Ich bin keine Pfeife!“ in Form eines aus Bronze gegossenen, kleinen Elefanten. Denn dieser stellt sich einer Skulptur gegenüber, die in Stade vermutlich seit Langem zum allgemeinen Kulturgut gehört: ein riesiger Elch.

Hier das niedliche, fremde und afrikanische Tier, das vielleicht bei uns heimisch werden möchte und dort das Wappentier der Ostpreußen, der damals Heimatvertriebenen, die in der trägen Nachkriegsgeschichte Stades und seines Kreises keine geringe Rolle spielten. Okay, das kann jetzt heftig überinterpretiert sein, aber wer Skulpturen in die Stadtlandschaft stellt, muss damit leben, wenn sich die Interpretationsgelüste mal nicht bremsen lassen.

Neben dem Elch übrigens, weiter zur Stadtseite hin, liegt noch ein kleiner Kopf im Gras, ein Werk von Volker Hueller, Schüler des unlängst verstorbenen, großartigen Bremer Malers Norbert Schwontkowski. Liegt da, kann schnell übersehen werden und schaut geradeaus in den Himmel. Und lädt endlich ein, das Spazierengehen mal sein zu lassen und sich neben ihn ins Gras zu legen und gleichfalls in den Himmel zu schauen. Wer weiß, was man nun sieht.

Weitere Infos gibt es unter
Der Skulpturenpark schließt am 29. September
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