Kolumne: Wirtschaftsweisen: Rostige Wolfsfallen

10.000 Gebrauchsgegenstände besitzt jeder Bundesbürger im Schnitt. Welche Dinge aber braucht der Mensch wirklich?

Geräuchert auch auf Flohmärkten erhältlich: Aale. Bild: DPA

Der eskici, das ist ein türkischer Händler, der mit mehr oder weniger Hingabe kullanılmış eşya – gebrauchte Waren – an- und verkauft. Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu zitiert einen eskici in seinem Buch „Abschaum“: „Eines Tages, wir sind wieder im Flohmarkt, immer Flohmarkt, mein halbes Leben im Flohmarkt …“

Mein Freund Fikret erwarb einen alten VW-Transporter und kaufte Gebrauchtmöbel auf, die er anschließend auf dem Flohmarkt mit Gewinn wiederzuverkaufen versuchte. Das Geschäft dümpelte müde dahin, bis Fikrets Bruder seinen Laden in Kreuzberg aufgab. Damit versuchte Fikret noch einmal sein Glück als vollberuflicher eskici. „Für alles muss man bezahlen“, sagt er. „Am günstigsten sind natürlich die Versteigerungen, weil dort auch größere Posten billig zu haben sind, aber für mich sind sie noch zu teuer.“ Im Endeffekt geht es Fikret wie den meisten Berliner Trödlern: Ihr Angebot besteht fast nur aus Unikaten. Selbst wenn es sich um ehemalige Massenprodukte handelt, sind sie derart durch einen persönlichen Gebrauch gegangen, dass sie quasi wieder zum Einzelstück wurden.

10.000 solcher Gebrauchsgegenstände besitzt jeder Bundesbürger im Schnitt (bei einem Ghanaer sind es nur siebenunddreißig!). Welche Dinge braucht der Mensch wirklich? Die große Anzahl wirkt hier wie ein Wohlstandspolster, das nun langsam und notgedrungen abgespeckt wird. Folglich entstehen immer mehr Trödelmärkte, auch im sogenannten Speckgürtel.

„Früher“ war das ganz anders: 1970 erreichte meine Freundin Ulrike, dass man in Westberlin Sperrmüll rausstellen durfte. Es wurde ein richtiges Stadtfest, so dass dieses Ereignis fortan regelmäßig wiederholt wurde. Aber bald hatten die eskici sich schon nachts die besten Sachen rausgesucht, und es kam immer öfter zu Streitereien. Um das Ganze zu deeskalieren, schuf man an der Straße des 17. Juni einen Trödelmarkt, den der Galerist Michael Wewerka verwaltete. Bald fanden sich dort literaturkundige Studenten ein: Sie erwarben von den eskici für wenig Geld Bücher, die sie für teures Geld an der Uni weiterverkauften. Einige konnten sogar davon leben. Dieser Trödelmarkt ist inzwischen von Touristen überlaufen und sauteuer, aber es gibt andere.Noch vor der Maueröffnung wurde der „Polenmarkt“ am Potsdamer Platz berühmt, für dessen Erhalt sich u. a. Cohn-Bendit einsetzte. Ich erwarb dort einmal zwei geräucherte Aale, die sich zu Hause als mit Pappe ausgestopft erwiesen. Auf dem Flohmarkt an der Schlesischen Straße entdeckte ich neulich einen Stand, an dem ein Kurde rostige Wolfsfallen verkaufte.

Am Stand daneben gab es 10.000 (!) verschiedene Fernbedienungen. Er gehört Tina Vollmer und Ahmad Alik. Sie haben ihn seit 1998 und zahlen im Monat 180 Euro dafür. Die Kunden sind meist Studenten und Hartz-IV-Empfänger – „sogar aus Spandau und dem Umland“ – und haben ihre Fernbedienung verloren, fallen gelassen, mit Flüssigkeit übergossen, aus Wut über das Programm zertreten, oder Hund, Katze oder Papagei haben das Gehäuse zerbissen. Einmal kam ein Punk, dessen Ratte alle Knöpfe angeknabbert hatte.

Die Fernbedienungen kosten zwischen 5 und 20 Euro. „Am schwierigsten sind Geschäftsleute, die gar nichts bezahlen wollen und einen dreist anlügen, nur um ein paar Euro zu sparen“, sagt Vollmer. „Meist Leute aus Zehlendorf und Dahlem, die um den Preis feilschen. Anschließend zahlen sie mit einem Hunderter. Die wissen nicht, sich in Armut zu benehmen.“

Inzwischen gibt es an einigen Kirchen „Trödelcafés“, und die Stadtzeitungen drucken Listen mit den „besten Flohmärkten Berlins“. Dazu gehören auch einige „Nachtflohmärkte“. Auf dem Mauerpark-Flohmarkt interessierte ich mich einmal für 5.000 alte Dias, die 20 Euro kosten sollten, ich hatte aber kein Geld dabei. Bei meinem nächsten Besuch waren es nur noch etwa 2.000 – und kosteten 150 Euro.

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geb. 1947, arbeitet für die taz seit 1980, Regionalrecherchen, ostdeutsche Wirtschaft, seit 1988 kulturkritischer Kolumnist auf den Berliner Lokalseiten, ab 2002 Naturkritik.

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