Als Israeli in Deutschland: „Ich will verstehen, wie sie denken“

Seit Maor Shani nach Bremen zog, verteidigt der regierungskritische Israeli sein Heimatland. Antisemiten, ob rechts oder links, geht er kein bisschen aus dem Weg.

"Ich bin oft frustriert, wenn eine Diskussion endet, weil jemand als Antisemit bezeichnet wurde": Maor Shani. Bild: Michael Bahlo

taz: Herr Shani, Sie lassen wenig Gelegenheiten aus, sich mit Antisemitismus zu konfrontieren.

Maor Shani: Ja, ich war sogar schon einmal Gast in einer Radioshow in den USA, wo ich zwei Stunden lang mit Holocaust-Leugnern diskutiert habe. Es war furchtbar. Sie haben Sachen gesagt, die jenseits jeder Vorstellung waren. Sie bewunderten die Nazis dafür, dass sie die Juden losgeworden sind. Das ist paradox, weil sie auf der anderen Seite behaupten, der Holocaust habe nie stattgefunden.

Warum tun Sie sich das an?

Es interessiert mich, ich will verstehen, wie solche Leute denken.

In Deutschland treten sie selten so offen auf.

Stimmt, hier findet man eher das, was sekundärer Antisemitismus genannt wird: „Die Juden nutzen ihre Leiden aus“, „Sie tun anderen an, was ihnen geschehen ist“, „Wir reden nur über die jüdischen Opfer der Nazis“, „Es geht nur darum, Geld in die ’jüdische Holocaust Industrie‘ zu pumpen“ – solche Aussagen gelten als legitim. Am komfortabelsten ist es, wenn man einen Juden findet, der so etwas sagt.

Ist denen, die so reden, bewusst, dass das antisemitische Argumente sind?

Wissen Sie, ich benutze das Wort Antisemitismus nicht so gerne, weil es vom Hass und dem Fanatismus, der dahintersteckt, ablenkt. Da wird schließlich eine ganze Gruppe von Menschen dämonisiert. Ich bin oft frustriert, wenn eine Diskussion endet, weil jemand als Antisemit bezeichnet wurde. Das ist einfach, dann brauchst du nicht mehr zu argumentieren.

32, hat an der Hebräischen Universität Jerusalem Sozialpsychologie und Politikwissenschaften studiert. Seit 2009 promoviert er an der privaten Jacobs-University in Bremen: Er erforscht, ob Schülerbegegnungen von Arabern und Juden in Israel Einstellungen verändern können.

Die Eltern seiner Mutter wurden 1949 aus dem Irak vertrieben, die seines Vaters sind Holocaust-Überlebende aus Rumänien und Polen.

An Bremen mag er die moderaten Temperaturen, sucht aber noch nach Clubs, in denen sein favorisierter Trance aufgelegt wird.

Worüber diskutieren Sie?

Viele wundern sich darüber, dass Israel – ein demokratisches und liberales Land mit Gay-Pride-Paraden in Tel Aviv – ein anderes Land besetzt, Checkpoints baut und eine Mauer. Manche Leute erklären das damit, dass Israelis bösartig sind.

Und Sie?

Es gibt Gründe für diese Politik, so schrecklich das für die Betroffenen sein mag. Ich war wie alle nicht-orthodoxen Juden nach dem Abitur drei Jahre in der Armee und habe an Checkpoints gestanden. Wir haben explosive Stoffe gefunden und Selbstmordattentäter gestellt.

Es war bewiesen, dass diese Leute Attentate verüben wollten?

Bei einigen, ja. Es war eine sehr chaotische Zeit, nicht wie heute, wo die Checkpoints fast wie normale Grenzübergänge sind. Ich war dort, als im Oktober 2000 die zweite Intifada startete. Wir wussten nie, wen wir durchlassen sollten und wen nicht.

Hatten Sie damit ein Problem?

Mir taten die Leute leid, ja. Aber ich wusste, warum wir dort waren. Alle zwei Tage explodierte ein Bus.

Und schon sind wir mitten im Nahost-Konflikt. Haben Sie häufig das Gefühl, Israel verteidigen zu müssen?

Ich habe darüber neulich mit einem israelischen Freund aus Berlin gesprochen. In Israel würden wir zu Demos gegen die Regierung gehen – und hier verteidigen wir ihre Politik! Aber das ist auch kein Wunder: Wir werden oft attackiert, nicht als Individuen, sondern weil wir als Repräsentanten Israels gesehen werden.

Von wem?

In der Uni passiert das oft. Ich bin dort einer von zwei Israelis. Sobald jemand, den ich nicht kenne, mitbekommt, woher ich komme, geht es um Politik. Das ist nicht schlecht und zeigt ein Interesse. Aber es gibt Leute, die gegen Israel argumentieren wollen und sich freuen, ein Opfer gefunden zu haben.

Sie suchen aber auch die Auseinandersetzung, gehen zu Vorträgen, bei denen Sie wissen: Es wird Streit geben.

Ich gehe nicht zu allen diesen Veranstaltungen, aber zu vielen, ja. Das gehört zu meinem akademischen und politischen Leben.

Sind Sie ein Botschafter Ihres Landes?

Ich sehe mich nicht so, aber ich will definitiv das Image Israels verbessern. Es gibt mehr als den Nahost-Konflikt. Der ist ein Teil des Lebens dort, aber er hält niemand davon ab, sein Leben zu leben. Wenn ich vor Schülern spreche, sind die meistens überrascht, dass junge Israelis dieselben Interessen haben wie sie, Musik hören und ausgehen.

Ist Israels Image schlecht?

In Deutschland nicht, die Medien berichten viel ausgewogener als in anderen europäischen Ländern. Und auch die deutsche Linke ist entweder neutral oder sogar Pro-Israel. Das ist in England und Frankreich ganz anders.

Warum gibt es überhaupt so etwas wie eine Anti-Israel-Haltung?

Es ist sehr einfach, sich mit den Palästinensern zu identifizieren. Du siehst, dass Palästinenser leiden, mehr als Israelis. Ganz ehrlich: Wenn ich hier leben würde und kein Jude wäre: Ich wäre wahrscheinlich auch Anti-Israel. Oder zumindest Pro-Palästina.

Es gibt Orte auf der Welt, da leiden die Menschen viel mehr.

Aber darüber erfahren wir nicht so viel. In Afrika gibt es viele Konflikte, aber wenig Medien. Israel ist ein winziges Land und dazu hoch entwickelt. Wenn da etwas passiert, sind fünf Minuten später hundert Reporter dort. Und der Konflikt hat etwas Einnehmendes: West gegen Ost, Islam gegen judäo-christliche Kultur, stark gegen schwach, Imperialismus gegen Kommunismus.

Das erklärt trotzdem nicht, warum sich manche Deutsche so verhalten, als wären sie im Gaza-Streifen aufgewachsen.

Das stimmt. Vor ein paar Wochen hatte ich eine Diskussion mit einem Studenten über sein Land, Kosovo. Er wollte, dass ich mich auf eine Seite stelle, und ich habe gesagt, dass ich keine Stellung beziehe, weil ich keine Beziehung zu dem Konflikt habe. Ich wäre froh, wenn man das mit Israel genau so machen würde. Ich verstehe den Hass nicht, wenn man nicht selbst betroffen ist.

Haben Sie manchmal Angst?

Weil ich jüdisch bin? Das wissen die Leute ja meistens nicht. Einmal hatte ich ein Erlebnis in Hannover mit einem Taxifahrer. Als er die israelische Flagge an dem Haus gesehen hat, zu dem ich wollte, hat er mir das Trinkgeld entgegengeschmissen. Er nehme kein „jüdisches Geld“. Oder wir saßen in der Uni mal beim Mittag und plötzlich sagte ein Student, den ich gar nicht kannte: „Das Problem mit euch Leuten ist, dass ihr die Welt dominieren wollt.“

Wie fühlen Sie sich dann?

Ich weiß, dass viele so denken, bin aber überrascht, wenn sie es aussprechen.

Sie erzählen das alles mit einer bemerkenswert guten Laune.

Ich nehme es wohl einfach nicht so persönlich.

War Ihnen klar, dass Sie in Deutschland solche Sprüche hören würden?

Mir war klar, dass ich in etwas involviert sein würde über Israel, aber ich hatte keine Angst. Wenn Sie mich fragen würden, ob das mit Kippa anders wäre: Ich weiß es nicht, das hängt vom Kontext ab. Im letzten Gaza-Krieg gab es eine Anti-Israel-Demo an der Domsheide in Bremen. Einige der Demonstranten waren auch bei dem Vortrag in der Villa Ichon, zu dem mir und einer jüdischen Freundin der Zutritt verwehrt wurde.

Die Hamburger Publizistin Susann Witt-Stahl sprach im April über den „Antisemitismusvorwurf als ideologische Waffe“.

Bei der Demo trugen sie Plakate mit der Aufschrift „Wir kaufen keine israelischen Produkte“. Ich bin hingegangen, weil ich wusste, dass sie dort sein würden und hatte eine israelische Flagge mitgenommen. Einige Passanten haben sich mir angeschlossen. Nach 15 Minuten sind die Demonstranten verschwunden. Einer, ein junger Deutscher, sagte noch: „Ihr Juden habt hier keinen Platz.“

Warum machen Sie sowas?

Ich will ihnen zeigen, dass sie falsch liegen. Ich will verhindern, dass nur ihre Sicht verbreitet wird. Und ich möchte, dass sie die israelische Flagge sehen und sich ärgern.

Das ist kindisch.

Ist es nicht auch kindisch, mit zehn Leuten gegen Israel zu demonstrieren? Ich frage immer, wenn jemand israelische Produkte boykottieren will, welche anderen Länder er boykottiert. Keins! Und in Deutschland gibt es eine Mode-Erscheinung, zu sagen: „Wir dürfen Israel nicht kritisieren.“ Ich frage dann, was jemand genau nicht sagen darf. Meistens kommt dann, „dass das Embargo für den Gaza-Streifen falsch ist und dass Israel aufhören sollte, auf palästinensischem Gebiet Siedlungen zu bauen“. Ich erwidere dann, dass das die offizielle Position der deutschen Regierung ist. Auch die meisten Israelis sind gegen die Siedlungen, weil die einer Zwei-Staaten-Lösung im Weg stehen!

Wie sehen Sie das?

Genau so, natürlich. Wenn einem Israel am Herzen liegt, geht das gar nicht anders.

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