: Die Ofensive
Der Kachelofen, bollerndes Accessoire in bürgerlichen Heimen, erobert sich die Wohnzimmer zurück: Mit Holz aus dem heimischen Forst wehrt sich der frierende Bürger nun gegen gestiegene Ölpreise und marode Strommasten
VON MARTIN REICHERT
In Deutschland werden nun die Waldschrate zu Ölscheichs. Sie heißen Ernst August von Hannover, Gloria von Thurn und Taxis oder Edmund Stoiber. Sie sind die heimlichen Herrscher in einem Land, in dem die Strommasten abknicken wie Pusteblumen und die Energiepreise beständig steigen, denn sie alle besitzen hektarweise Wald. Und München ist das heimliche Dubai, denn Bayern ist nicht nur der größte Waldbesitzer Deutschlands, sondern Mitteleuropas. Ein klarer Wettbewerbsvorteil, denn Holz ist spätestens seit diesem Winter wieder ein sehr nachgefragtes Gut.
Irgendwann kommt immer der Punkt, an dem es nicht mehr geht, an dem man sich umstellen muss. Viele BundesbürgerInnen nahmen den Wirbelsturm „Katrina“ zum Anlass, sich von alten Gewohnheiten zu trennen: ihrem Öltank im Keller oder dem Gasspeicher hinter dem Carport. Eine Pelletsanlage musste her, behördendeutsch eine „automatisch beschickte Anlage zur Verfeuerung fester Biomasse!“. Oder jedoch ein „manuell beschickter Scheitholzvergaserkessel“, schlicht: ein Kaminofen, in dem der in Stücke gehackte deutsche Wald anstatt russischem Gas oder saudi-arabischem Erdöl verfeuert wird. Eigener Herd ist Goldes Wert, allemal in unsicheren Zeiten.
In Deutschland gab es im vergangenen Jahr 26.000 Haushalte, die mit Pellets geheizt haben, in diesem Jahr lagen bereits 14.000 Neuanträge vor: „Bis zum Jahresende heizen 40.000 Haushalte mit Pellets“, prognostiziert Beate Schmidt von der „Landesinitiative Zukunftsenergien NRW“ – das Bundesland Nordrhein-Westfalen fördert den Einbau einer solchen Anlage theoretisch mit jeweils 1.500 Euro. Unabhängig von der Landesebene ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle mit rund 1.700 Euro dabei, dank des Förderprogramms Erneuerbare Energien, dessen Fortführung jedoch im Unklaren liegt – eine Haushaltsfrage, die die neuen Regierungen sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene zu entscheiden haben. Feste Förderzusagen sind daher im Moment nicht zu haben.
Der bundesdeutsche Durchschnittspreis für Pellets liegt bei 170 Euro die Tonne. Zum Vergleich: Heizöl kostet heute 59 Cent pro Liter, der vergleichbare Pelletpreis liegt bei 34 Cent – er liegt im Schnitt 25 bis 30 Cent unter dem Heizölpreis. Die Pressholzwürstchen, hergestellt aus Holzabfällen, werden einmal im Jahr geordert, mit einem Tankwagen angefahren und in den Tank eingeblasen, ein Einfamilienhaus benötigt etwa fünf Tonnen Pellets, um über den Winter zu kommen, die Anlagen sind unkompliziert und sauber in der Handhabung. Ob nun Pellets oder Scheitholzvergaser: Die Ökobilanz ist ordentlich, schließlich wird bei der Verfeuerung von Holz die gleiche Menge Treibhausgas freigesetzt wie die Bäume aufgenommen haben. Zudem handelt es sich bei Holz um einen – wie schön – nachwachsenden Rohstoff.
Auch jenseits geförderter High-Tech-Befeuerungen erwärmt man sich in Deutschland für den Ofen. Im letzten Jahr gab es laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung 3,23 Millionen so genannter Kaminöfen, 750.000 mehr als im Vorjahr – Hersteller, Händler und Ofensetzer, ehemals ein von Aussterben bedrohter Beruf, sind regelrecht überfordert mit dem Ansturm der Kunden. Der Aufsehen erregende Stromausfall im Münsterland wirkt diesbezüglich noch einmal verstärkend.
Während jedoch Pellets recht undramatisch im Kessel schmoren, prasseln Holzscheite knisternd hinter dem Sichtfenster (ein Muss!) und verbreiten wohlige Atmosphäre, ein Leuchten in den Augen. Der Ofen als vom Grund aller anthropologischen Konstanten aufgestiegene Erinnerung an das Feuer als wärmende Quelle steinzeitlicher Provenienz – eine tröstende, verlässlich glühende Mutterbrust, die allerdings auch umgekehrt liebevoll genährt werden muss. Das Heizen mit Holzscheiten bedeutet ganz einfach einen höheren Aufwand sowohl in der Lagerung als auch in der Befeuerung.
Noch vor wenigen Jahren galt der Kachelofen als Technik von gestern, als schrullige Grille von Provinzbewohnern. In Großstädten wie Berlin hatte man ihm, kohlebetrieben und stinkend wie er war, den Kampf angesagt: „Ofenfrei bis 2000“ lautete eine Anfang der 90er-Jahre ausgegebenen Parole – alles falsch. Der Kachelofen, eine bollernde Kiste mit dem Odium sozialer und modernisierungstechnischer Rückständigkeit, von hohem Nutzwert allenfalls für antibürgerliche Bohemiens in kalten Hinterhofwohnungen, ist nun ein Statussymbol des pfiffigen Globalisierungssurfers: Mit Holz aus dem heimischen Forst gegen Klimaerwärmung und Krieg im Irak.
Wie der Spiegel berichtete, streifen Deutschlands BürgerInnen mittlerweile sogar mit der Kettensäge durch die Wälder und ziehen sich bei ihrer Suche nach Brennholz mitunter ernsthafte Verletzungen zu, in Hessen werden deshalb „Sägekurse für Laien“ angeboten. Der deutsche Wald, vormals Refugium von Jägern, Pilzesammlern und rechtsextremistischen Wehrsportgruppen, kehrt zurück in die Mitte der Gesellschaft, denn er wird wieder gebraucht.
Im bayerischen Sauerlach bei München setzt man in punkto Wärmeversorgung seit dem letzten Jahr total auf Holz: Ein Biomasseheizkraftwerk verfeuert jährlich 6.000 Tonnen naturbelassenes Wald- und Restholz aus der Region, versorgt öffentliche Gebäude, Ein- und Zweifamilienhäuser sowie mehrere private und gewerbliche Großabnehmer mit Wärme – die Anlage spart jährlich rund 2,2 Millionen Liter Heizöl, damit wird der Ausstoß von rund 5.900 Tonnen Treibhausgas vermieden, auch an anderen Orten vertraut man längst auf Wärme und Strom aus Stall, Feld und vor allem Wald. Eine Kulturrevolution – frei nach Mao: Jedem Dorf sein Holzhackschnitzheizwerk.
Die Holzpreise waren über die vergangenen Jahre stabil niedrig, aber wer weiß, wie sich der Ofen-Boom längerfristig auf die Preisentwicklung auswirken wird. Wer ganz auf Nummer Sicher gehen möchte – unabhängig sowohl von der Pellets-Industrie als auch von fossilen Brennstoffen –, investiert am besten gleich in einen kleinen Forst. Es hat ja nicht jeder so viel Holz vor der Hütte wie Gloria von Thurn und Taxis.