Arbeit und was sich lohnt: Hartz IV soll korrigiert werden

Seit 2002 ist nur die Zahl von Teilzeit-, Leih- und Minijob-Arbeit in Bremen gestiegen – auch bei guter Konjunktur. Arbeitnehmerkammer fordert Konsequenzen.

Peer Steinbrück hatte noch nie einen Minijob. Bild: wolschner

Egal, wer am 22. September als Wahlsieger die neue Bundesregierung stellen kann – der Hauptgeschäftsführer der Bremer Arbeitnehmerkammer, Ingo Schierenbeck, hat an „die neue“ ein Anliegen: Sie soll die Arbeitsmarktpolitik korrigieren.

In den letzten zehn Jahren, so fasst Schierenbeck eine Studie seines Hauses zusammen, hat das Wirtschaftswachstum in Bremen 18 Prozent betragen, gleichzeitig nahm die Zahl der Vollarbeitsplätze ab. Nur bei den Teilzeit-Arbeitsverhältnissen und den Leiharbeitern gab es leichte Zuwächse – um fünf Prozent.

Die Zahl der Leiharbeiter hat sich verdreifacht, die der Teilzeit-Arbeitsverhältnisse stieg um rund 25 Prozent. Der Anteil der Minijobber an den Erwerbstätigen liegt inzwischen in Bremen bei 17 Prozent – unabhängig davon, wer gerade in Berlin regierte. Und auch unabhängig davon, ob es gerade konjunkturell boomte oder eine Flaute herrschte.

Die sozialen Sicherungssystem sind auf diese Zunahme prekärer Beschäftigung nicht eingestellt, sagt Kammer-Geschäftsführerin Elke Heyduck, sondern „funktionieren“ auf der Basis der Fiktion eines lebenslangen Vollzeit-Arbeitsverhältnisses.

Die Folge: Es wird immer mehr Rentner geben, deren Rente nicht mehr den Lebensunterhalt deckt. Und die Ergänzungszahlungen für „Aufstocker“, also Arbeitnehmer, deren Jobs nicht zum Leben reicht, machen inzwischen in Bremen 35 Millionen Euro im Jahr aus.

Das Problem ist den Sozialpolitikern durchaus bewusst, sagt Schierenbeck, immerhin steht in allen Wahlprogrammen etwas von „guter Arbeit“, die gesichert sein sollte. Konkreter werden die meisten Programme aber nicht. Für Schierenbeck sind Korrekturen der Hartz-IV-Gesetzgebung notwendig: Minijobs müssten sozialversicherungspflichtig sein (und für Unternehmen damit nicht „billiger“ als normale Beschäftigung).

Für die Leiharbeiter müsste „equal pay“ gesetzlich festgeschrieben werden, Leiharbeitsverhältnisse müssten zudem wieder auf zwei Jahre begrenzt werden, damit sie nicht „Normalzustand“ werden. Und das Ausweichmanöver der Arbeitgeber, über Honorarverträge Scheinselbstständige anzuwerben, müsse unterbunden werden.

Die Kammer hat die Entwicklung der letzten zehn Jahre analysiert, also die Zahlen von 2002 mit denen von 2012 verglichen. Während im industriellen Sektor Bremens jeder siebte Arbeitsplatz verloren ging, insgesamt 12.500, kamen im Dienstleistungssektor 33.000 Beschäftigungsverhältnisse hinzu – immerhin 17 Prozent. Das Arbeitsstunden-Volumen insgesamt stieg aber nur um 2,6 Prozent.

Das bedeutet: Mehr Menschen teilen sich beinahe dasselbe Arbeitsvolumen. Jedes fünfte Beschäftigungsverhältnis ist inzwischen ein Minijob – 70.000 gibt in Bremen. Während der Anteil der Leiharbeit im Bundesdurchschnitt bei 19 Prozent liegt, erreicht sie in Bremen 31 Prozent.

Die Politik darf sich, so die Kammervertreter, nicht mit dieser Erosion des Arbeitsmarktes abfinden, insbesondere weil sich gezeigt hat, dass diese Trends auch in Zeiten guter Konjunktur anhalten. Die prekären Arbeitsverhältnisse seien einfach zu attraktiv für Unternehmer, sagt Schierenbeck.

Und gleichzeitig hätten die letzten zehn Jahre gezeigt, dass sie nicht als „Einstieg“ in normale Arbeitsverhältnisse dienen, im Gegenteil: Sie ersetzen Vollzeit-Arbeitsverhältnisse.

Deutschland nimmt dabei, was die prekären Löhne angeht, eine traurige Spitzenposition im europäischen Vergleich ein: Unter die „Niedriglohnquote“ fallen in Deutschland 24,1 Prozent der Beschäftigten. Nur in Litauen sind es mehr.

Um Arbeitslosen stärker als bisher zu ermöglichen, unattraktive Arbeitsangebote abzulehnen, fordern manche politischen Kräfte ein „bedingungsloses Grundeinkommen“. Von diesem Konzept hält die Kammer nichts: Dafür gebe es „gesellschaftlich keine Akzeptanz“, sagt Schierenbeck.

Und Heyduck wendet ein, dass die Vorstellung, dass man auch ohne Arbeit normal seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, „an den Fundamenten der Gesellschaft“ rühre. Für die meisten sei Arbeit eben nicht nur Geldbeschaffung, sondern auch ein Teil der Selbstverwirklichung.

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