: Genie und Fiesling
EISKUNSTLAUF Die WM wird zum Triumph für Trainer Ingo Steuer. Der Chemnitzer hat an jeder Paarlaufmedaille eine Aktie
VON MARINA MAI
Als bei den Weltmeisterschaften im Eiskunstlauf am Freitagabend die Paarlaufmedaillen vergeben wurden, stand ein Mann gewissermaßen gleich dreimal auf dem Podium im kanadischen London: der Chemnitzer Trainer Ingo Steuer. Sein Paradepaar Aljona Savchenko und Robin Szolkowy, die als Titelverteidiger an den Start gegangen waren, holten Silber für Deutschland. Gold holten völlig verdient Tatjana Wolososchar und Maxim Trankow, für die die russische Hymne erklang. Wolososchar ist eigentlich Ukrainerin und hat bis 2010 mit ihrem ukrainischen Partner Stanislav Morozov bei Steuer in Chemnitz trainiert. Morozov ist jetzt Trainer der neuen Weltmeister. Auch an den WM-Dritten, den Kanadiern Meagan Duhamel/Eric Radford, hat Steuer eine Aktie. Eric Radford gehörte mit seiner früheren Partnerin Rachel Kirkland einmal zu Steuers Trainingsgruppe.
Der muss zur Sicherung seines Lebensstandards ausländische Paare trainieren. Die Deutsche Eislauf-Union darf ihm für das Training deutscher Sportler kein Geld zahlen. Das verbietet das Bundesinnenministerium. Grund ist seine Stasi-Tätigkeit in den 1980er Jahren. Prozesse vor Gerichten laufen.
Savchenko/Szolkowy können es sich leisten, dennoch mit Steuer zu arbeiten, weil sie als Spitzenpaar Prämien für Shows und Wettkämpfe bekommen und Sponsoren haben. Dennoch war die finanzielle Situation der vierfachen Weltmeister und Olympiadritten in den zurückliegenden Jahren oft prekär. Der Nachwuchs in Deutschland kann es sich nicht leisten, einen der besten Paarlauftrainer weltweit zu beauftragen. Einen, der in seiner Heimatstadt Chemnitz leben und arbeiten will, obwohl es an Angeboten aus anderen Staaten nicht fehlt. Einen, der ein wenig umgänglicher Mensch ist, der eben für die Stasi gespitzelt hat. Einen aber auch, der ein Genie auf seinem Gebiet ist. Viele Genies, nicht nur im Sport, sind schwierige Menschen, weil sie sich allzu sehr in ihr Fachgebiet festbeißen, weil sie übermäßig ehrgeizig sind. Ist Steuers frühere Tätigkeit für die DDR-Staatssicherheit seinem schwierigen Charakter geschuldet?
Am Freitag in London war dies kein Thema. Da wurde eher darüber gesprochen, dass 2013 nicht das Jahr von Savchenko/Szolkowy ist. Aljona Savchenko hatte im Herbst mehrere Wochen an einem hartnäckigen Infekt laboriert. An Training oder gar Wettkämpfe war da nicht zu denken. Im Programm unterliefen den Chemnitzern auch gleich drei kapitale Fehler, sodass sie mit ihrer Kür nach den Klängen von Ravels „Bolero“ mit Silber noch gut belohnt waren. Der dreifache Wurfaxel, eine Höchstschwierigkeit, die außer ihnen kein anderes Paar beherrscht, rettete buchstäblich in letzter Minute noch die Medaille vor den überraschend starken Kanadiern. In diesem Jahr haben sich Duhamel/Radford, die bisher niemand als Medaillienkandidaten für eine WM auf dem Zettel hatte, enorm gesteigert. Nur ein Punkt fehlte ihnen am Ende auf Savchenko/Szolkowy.
Wenn das Paar der Deutschen Eislaufunion im nächsten Jahr Gold bei den Olympischen Spielen in Sotschi holen will – der einzige Titel, der ihnen in ihrer langen und erfolgreichen Karriere noch fehlt –, dann konkurrieren vor allem Paare gegen sie, deren einer Partner einmal vom eigenen Trainer aufgebaut wurde. Nach Olympia werden dann die Karten um den schwierigen deutschen Erfolgstrainer neu gemischt. Savchenko/Szolkowy werden ihre Karriere dann beenden. Ein weiteres deutsches Paar ist nicht in Sicht, das es sich leisten kann, bei ihm zu trainieren, ohne dass der Sportfachverband die Trainerhonorare zahlt. Wie die noch anhängigen Gerichtsverfahren ausgehen, ist völlig offen. Aber an Angeboten, seiner eher drögen Heimatstadt Chemnitz den Rücken zu kehren, für die seine Paarlaufschule nicht nur dringend nötiges internationales Prestige bringt, sondern sogar ein kleiner Wirtschaftsfaktor ist, dürfte es bei Steuers Erfolgen nicht fehlen.