Stummer und lauter Protest

Während am Otto-Suhr-Institut der FU der Streik auf Hochtouren läuft, ist in der nahen Mensa vom Protest wenig zu spüren. An der Humboldt-Universität geht man die Probleme wissenschaftlich an

Von Heike Schmidt

Der Weg vom Thielplatz zum Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft (OSI) ist kaum zu verfehlen: Die Bäume hier auf dem Gelände der Freien Universität (FU) sind gepflastert mit bunten Zetteln, die zur Beteiligung am Studistreik aufrufen und über die Situation an der Uni informieren. Vor dem OSI sind Wimpel über die Straße gespannt, „bestreikt“ steht auf Transparenten, die an der Fassade des Instituts hängen.

Drinnen schwirren Wortfetzen durch die Luft: In mehreren „Streikseminaren“ diskutieren die Studierenden hochschulpolitische Themen, dazu gibt es Kaffee im Foyer. Hier herrscht Ausnahmezustand. Noch bis morgen soll das so weitergehen.

Nach der Besetzung des Präsidialbüros am Dienstag wollen die Studenten heute eine Zwischenbilanz ziehen: Um 14 Uhr soll in einer Vollversammlung in der Silberlaube geklärt werden, wie der Druck auf die Berliner Politik weiter aufgebaut werden kann und die Forderungen durchgesetzt werden können. Insbesondere die Abschaffung des „Campus-Managements“ wird verlangt. Diese neu eingeführte Software übernimmt alle Verwaltungsvorgänge der Universität, darunter auch die Ausgabe von Scheinen, und kontrolliert so die Arbeitsleistung der Studis. Die Uni wolle damit „gläserne Studenten“ schaffen, kritisieren die Streikenden.

In den Protestseminaren werden noch viele andere Forderungen laut. Umgeben von Transparenten, Töpfen mit Fingerfarbe und 40 Kommilitonen, äußert eine Geschichtsstudentin im 3. Semester ihre Angst, an den Bachelor keinen Master anschließen zu können – nicht jeder werde zu dem höheren Studiengang zugelassen. Dessen Abschluss ist jedoch Voraussetzung für ihren Traumberuf Lehrerin.

Die laute Diskussion in den Seminaren wird auf den Fluren des OSI fortgesetzt. Das sei Hauptzweck der Streikwoche, sagt Andreas Möbius, Bachelorstudent der Sozialwissenschaften. „Wir müssen uns ins öffentliche Bewusstsein rufen und zeigen, dass Selbstbestimmung mehr zählt als Sachzwänge.“

Der einzige ruhige Fleck am OSI ist die Bibliothek: Hier herrscht aus Rücksicht auf die anstehende Prüfungsphase die übliche Stille. Leise ist es auch in der 10 Minuten Fußweg entfernten Mensa in der Silberlaube. Nur vereinzelt sind auf dem Weg dorthin die bunten Flugblätter zu finden, auch ein abgerissenes Transparent auf einem vor der Mensa parkenden Auto erinnert an die Geschehnisse in unmittelbarer Nähe. Eine Stellwand im Mensafoyer informiert über die Streikwoche. Doch selbst vor einem Infostand, der günstige Bahntarife für Studierende anpreist, stehen mehr Interessenten.

Auf den Mensatischen stehen Laptops, Besucher lesen ihre Seminartexte: Der Alltag scheint ungestört zu sein. Zwar soll in Veranstaltungen einiger Fachbereiche auf die aktuelle hochschulpolitische Entwicklung eingegangen werden, verkünden Aushänge – „Vom rebellischen Geist des Streiks am OSI kriegen wir hier nichts mit“, sagt aber ein Student. Der Streik sei ihm aber sowieso „egal“.

Von rebellischem Geist war auch bei der Eröffnung der Ausstellung „Vision und Realität“ an der Humboldt-Universität (HU) wenig zu spüren. „Beim Streik 1997 stand ich selbst noch auf der Straße“, sagt Werner Treß, Organisator der Ausstellung über die Gründungsphase der HU im Foyer des Hauptgebäudes. „Heute glaube ich, dass ein Streik allein nichts bringt.“ Vielmehr müsse der Hochschulprotest eine wissenschaftliche Diskussion anregen. Dafür engagiere er sich. Auch die meisten Studierenden, die zu der Eröffnung gekommen waren, teilten in einer anschließenden Podiumsdiskussion seine Meinung.

„Es ist nicht deine Schuld, wenn wir an der Uni nichts zu sagen haben, es ist nur deine Schuld, wenn es so bleibt“, mahnen Poster an der FU. Das haben sowohl die Protestler am OSI wie auch die Organisatoren der Ausstellung verstanden. Nur: Die einen melden sich lauter zu Wort, die anderen leiser.