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Archiv-Artikel

Bilbao wird meist falsch verstanden

ARCHITEKTUR Die Kultur als Motor und Fassade der Stadtentwicklung verhandelt die Schau „Kultur:Stadt“ in der Akademie der Künste

Der Bilbao-Effekt lässt sich nicht durch Kulturtempel von Stararchitekten erzwingen

VON RONALD BERG

Beim berühmten „Bilbao-Effekt“ geht es um nicht weniger als die Rettung der Stadt. Der berühmte „Bilbao-Effekt“ besteht darin, dass der Bau des Guggenheim Museums von Architekt Frank O. Gehry 1997 eine dahinsiechende Stadt im Norden Spaniens wieder auf die Beine brachte. So geht zumindest die Legende. Doch die Transformation der ehemaligen Industriestadt Bilbao zum Tourismusmagneten und zur Dienstleistungsmetropole verdankt sich nicht allein der Ansiedlung des neuen Museums als expressiver Stadtkrone. Der Bau einer U-Bahn, ein neuer Flughafen, ein neues Abwassersystem, Wohn-, Freizeit- und Gewerbeanlagen in der Innenstadt, die Neugestaltung des innerstädtischen Flussufers – all das beförderte den Bilbao-Effekt. Weil das aber wenig bekannt ist, haben viele Politiker überall auf der Welt die Lehre von Bilbao meist falsch verstanden: Der Bilbao-Effekt lässt sich nicht durch möglichst spektakuläre Kulturtempel von möglichst bekannten Stararchitekten erzwingen. Solch erhellende Einblicke kann man im Katalog zur Ausstellung „Kultur: Stadt“ gewinnen.

Dem Architekten Matthias Sauerbruch, der die Ausstellung kuratiert hat, dient Bilbao als Paradigma, anhand dessen 37 Architekturbeispiele danach befragt werden, wie Kulturbauten in das Gemeinwesen hineinwirken. Allerdings wird in der Schau selbst auf jeglichen Kontext verzichtet. Sie setzt bei der Präsentation der Projekte, die nach dem Museum von Bilbao entstanden sind, ganz auf das klassische Architekturmodell. Unter ihren Plexiglasschreinen wirken die Modelle wie Kunstwerke. Dazu kommen die zugehörigen Pläne und Zeichnungen – allerdings als Faksimile. Das Spektrum reicht von neuen Architekturikonen wie der Oper von Zaha Hadid im chinesischen Guangzhou über allerlei Umnutzungen von vorhandenen Bauten bis zu fast immateriellen Projekten wie den Soup-Dinners an wechselnden Orten in Detroit, bei denen Geld für Stadtteilinitiativen gesammelt wird. So weit, so gut.

Vom weitreichenden Anliegen der Schau bemerkt man in der schön gemachten Präsentation nichts. In Wirklichkeit sind die Modelle nur Teil eines viel größeren Unterfangens. Die tiefschürfende Absicht der Akademie, Grundfragen zu Stadt und Kultur zu stellen, bewog die Kulturstiftung des Bundes, das Projekt mit mehr als 200.000 Euro zu unterstützen. Ausgegeben hat man das Geld unter anderem für eine zweite, virtuelle Ebene der Schau. Der Besucher wird dafür bei seinen Rundgang mit einem Tablet-Computer ausgestattet und kann Hintergrundinformationen in Bild und Text, eingesprochene Kommentare und Kurzfilme zu den Architekturmodellen abrufen. Mehr als sieben Stunden würde es brauchen, das alles anzusehen. Man muss also auswählen. Zum Selektionsdruck kommt der ständige Zwiespalt zwischen virtueller Informationsfülle und auratischem Original. Reales und Virtuelles machen sich gegenseitig Konkurrenz. Das Ergebnis ist nicht tieferes Verständnis, sondern Zerstreuung. Das wird spätestens dann offenkundig, wenn man am Ende der Schau in den Kinoraum gelangt.

Wie angenehm ist es doch, die im Tablet integrierten Filmchen wandfüllend im Kinoformat zu verfolgen. 15 Kurzfilme von Studenten der DFFB haben sich auf subjektive Weise je eines der Architekturprojekte vorgenommen. Der etwa eine Dreiviertelstunde dauernde Loop ist eine wirkliche Weiterführung der Ausstellung – medial wie inhaltlich. Die bewegten Bilder zeigen etwa, wie Mensch und Architektur miteinander agieren: Wie die Bibliothek in Seattle zum Heim für Obdachlose wird, wie eine hoch über der Stadt thronende Bibliothek im kolumbianischen Medellín von den Armen als Schutzraum und geradezu als „Heiligtum“ angesehen wird oder wie man im Gefolge von wilden Tieren eine Party-Location wie das Berghain in Berlin neu entdecken kann.

Das von der Schau angesprochene Thema der „architektonischen Intervention in kultureller Absicht“ wird in den kommenden Wochen in Symposien und Vorträgen zur Sprache kommen. Der kultivierte Diskurs unter zivilisierten Menschen ist immer noch das privilegierte Medium, um Lösungen zu entwickeln und Ideen auszutauschen, die beim Verhältnis von Kultur und Stadt zu verhandeln sind: Was ist Kultur? Wie lässt sie sich befördern? Etwa mit Architektur? Oder anders gefragt: Was ist Kultur nicht? Was ist am Ende nur Event, Kommerz und Spektakel? An Anschauungsmaterial zu solchen Fragen ist dank der Ausstellung in der Akademie der Künste nun jedenfalls kein Mangel mehr.

■ Bis 26. Mai, Di.–So. 11 bis 19 Uhr. Akademie der Künste, Hanseatenweg 10