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Archiv-Artikel

Viel Wind im Stadion

Werder Bremen fegt Panathinaikos Athen mit 5:1 vom Platz und schafft doch noch den Einzug ins Achtelfinale der Champions League. Trainer Schaaf nimmt das gewohnt bodenständig zur Kenntnis

AUS BREMEN KLAUS IRLER

Manchmal wissen die Fans für ein paar Sekunden deutlich mehr über das Schicksal ihres Vereins als die Verantwortlichen. Ein magischer Moment – vor allem, wenn alle im gleichen Stadion sitzen. So wie am Mittwochabend im Bremer Weser-Stadion, um 22.15 Uhr, also in der 85. Spielminute. Werder führt zu diesem Zeitpunkt souverän mit 4:1 gegen Panathinaikos Athen. Die Partie ist gelaufen, die Fans hätten bequem schon mal zum Auto gehen können. Aber sie bleiben – und werden immer stiller. Entscheidend ist mittlerweile, was per Handy über den Spielstand in Udinese durchgegeben wird.

Mitten in ein belangloses Mittelfeld-Geplänkel hinein erhebt sich dann Jubel. Von der Nordtribühne breitet er sich aus und erfasst das ganze Stadion. Alle stehen. In der 87. Minute bestätigt der Ergebnisdienst: Barcelona führt 1:0 gegen Udinese. Von diesem Moment an steht Bremen im Achtelfinale der Champions League. Die Werder-Fans liegen sich in den Armen. Drei Minuten später schießt Barcelona sogar noch ein zweites Tor.

„Über den Spielstand in Udinese hatten wir keine Informationen auf der Bank“, wird Werder-Trainer Thomas Schaaf später sagen. „Als es positiv unruhig wurde im Stadion, kam über die Videowand das Ergebnis, sodass wir da informiert waren.“ Sie wollten’s also nicht wissen – und das liegt daran, dass die knüppelhart kopfgesteuerten Bremer grundsätzlich mit beiden Beinen im Weser-Stadion stehen: „Es hat wenig Sinn, sich mit Dingen zu beschäftigen, die man nicht ändern kann“, sagte Sportdirektor Klaus Allofs zum Informationsverzicht auf der Bank. „Ich hätte auch gut leben können mit 90 Minuten Nachrichtensperre, und dann öffnet jemand den Umschlag.“

Keine großen Töne, keine Träume – das ist die Werder-Strategie, vor allem an diesem Abend, der für „Image, Erfahrung der Spieler und auch finanziell“ (Allofs) so wichtig ist. So antwortet Rationalist Schaaf auf die Frage nach seinen Gefühlen nach dem Spiel mit emotionsloser Mine: „Die Mannschaft kann stolz sein auf das, was sie geliefert hat.“ Ansonsten gilt: „Hätten wir’s nicht geschafft, dann hätten wir’s nicht verdient.“

Wortwörtlich von der ersten Minute an kümmerte sich Werder Bremen sinnvollerweise nur ums Wesentliche – das Toreschießen. Kaum hatte man Platz genommen, stand es schon 1:0. Torsten Frings passte aus dem Mittelfeld genial auf Miroslav Klose, der wurde im Strafraum von Athens Torhüter Mario Galinovic gelegt, Johan Micoud verwandelte den Elfmeter in der zweiten Spielminute.

Athen spielte danach durchaus auf Augenhöhe mit, versuchte, mit weiten Pässen das dichte Bremer Stellungsspiel zu knacken, und erarbeitete sich eine Großchance in der achten Minute, die Dimitrios Papadopoulos vergab. Werder dagegen schaffte es, aus Konzentration auch Effektivität zu machen – und nutzte drei von vier Chancen in der ersten Halbzeit: Nelson Valdez traf in der 28. und 31. Minute, beide Male auf Vorlage von Micoud. Typisch für diese Zielstrebigkeit war vor allem das 3:0: Einwurf Mittellinie, Micoud passte steil in den Raum, Valdez ging – und traf.

Ebenso wie Miroslav Klose, der nach seinem Jochbein-, Augenhöhlen- und Kieferbruch vor zwei Wochen in Barcelona in den Bremer Sturm zurückgekehrt war – mit Plexiglas-Maske über dem Gesicht und bewundernswert vielen Spielideen im Kopf, von denen vor allem Valdez profitierte. Im Anschluss an Kloses 4:0 (51.) fuhr die Bremer Abwehr einen Eckball lang ihre Aufmerksamkeit auf null und ließ Nasief Morris frei zum Kopfball kommen – ein Anschlusstreffer, der aufgrund der Bremer Überlegenheit niemand wirklich interessierte. Ebenso wenig wie das 5:1 in der 91. Minute, das bereits im Jubel über den Bremer Einzug ins Achtelfinale unterging.

„Glauben Sie, dass Werder auch gewonnen hätte, wenn Athen die Torschüsse nicht zugelassen hätte?“, fragte nach dem Spiel ein griechischer Reporter. Thomas Schaaf glaubte erst an einen Übersetzungsfehler, dann an einen Scherz, schließlich erinnerte er sich an die Physik im großen Spiel: „Fußball ist so, dass man Tore schießen muss. Der Ball geht nicht von alleine rein. So viel Wind ist nicht bei uns im Stadion.“ Wenn es ihn doch gäbe, Schaaf würde ihn sicher mit einberechnen. So oder so: Werder Bremen ist am Mittwoch wieder ein Stückchen gewachsen.