Londoner Polizistenmord vor Gericht: Gerechtigkeit ist unteilbar

Londons Polizei ist bei schwarzen Jugendlichen verhasst. Nun steht ein Schwarzer wegen des Mordes an dem Polizisten Keith Blakelock 1985 vor Gericht.

3. März: Hinterbliebene von Keith Blakelock vor dem Old Bailey Bild: reuters

LONDON taz | Obwohl Nicholas Jacobs in der Londoner Old Bailey die Bibel in seinen Händen ballt, ist er kein Fremder im britischen Justizsystem. Wegen einer Schlägerei saß er schon einmal fünf Jahre in Haft. Seit 3. März steht er vor Gericht wegen des wohl brutalsten unaufgeklärten Polizistenmordes in England: die kollektive Tötung des Polizisten Keith Blakelock im Wohnkomplex „Broadwater Farm“ im Nordlondoner Stadtteil Tottenham am 5. Oktober 1985.

Jacobs ist inzwischen der siebte Angeklagte in drei Blakelock-Mordprozessen. Noch immer ist dafür niemand rechtskräftig verurteilt worden. Auch die Familie des Ermordeten sitzt wieder im Gerichtssaal. Es muss für sie schrecklich sein, nach fast 30 Jahren noch immer keinen Schuldigen nennen zu können.

Blakelock starb 1985 in einem extrem aufgeheizten Klima zwischen Londons schwarzer Jugend und der Polizei. Am 28. September 1985 hatten Polizisten im Südlondoner Stadtteil Brixton bei einer Hausdurchsuchung die Mutter eines gesuchten schwarzen Mannes angeschossen, die danach gelähmt war, was zu wütenden Protesten führte. Eine Woche später wurde der Schwarze Floyd Jarrett in Tottenham am 5. Oktober 1985 wegen eines Verkehrsdelikts festgenommen, und die Beamten durchsuchten auch gleich seine Wohnung.

Dort trafen sie auf seine Mutter Cynthia, die so sehr erschrak, dass sie einem Herzinfarkt erlag. Es kam zu schweren Krawallen in Broadwater Farm. Ein Feuer brach aus, Feuerwehr unter Polizeischutz wurde vom wütenden Mob zurückgeschlagen. Der Beamte Keith Blakelock fiel zu Boden und wurde sofort von einer großen Anzahl von Leuten brutal angegriffen. Blakelock erlag 40 Stichwunden. Als ein anderer Beamter ihn fand, steckte noch ein Messer tief in seinem Hals.

Bis heute kein rechtskräftiges Urteil

Das Misstrauen zwischen Londons schwarzer Jugend und der Polizei hat es bis heute unmöglich gemacht, Blakelocks Mörder zu identifizieren und zu verurteilen. Eine forensische Beweisaufnahme wurde durch die Räumung des Tatorts erschwert. Drei Bewohner von Broadwater Farm, die zunächst verurteilt wurden, kamen 1991 wieder frei, da die Polizei sich zum Teil auf Aussagen von Schülern einer nahe gelegenen Sonderschule oder von für ihre Aussage bezahlten Drogenabhängigen stützte.

Vor etwa zehn Jahren wurde der Fall neu aufgerollt. Auf Grundlage neuer Ermittlungen wurden 2010 14 Männer verhaftet – unter ihnen Nicholas Jacob. Die Staatsanwaltschaft sagt, es gebe neue Beweise, unter anderem einen Raptext, in dem Jacobs sich der Ermordung des Polizisten brüstete. Die Verteidigung sagt, das sei keinesfalls neu und habe schon in zwei vorherigen Prozessen nicht ausgereicht, um Jacobs zu verurteilen.

Und es treten jetzt dieselben unzuverlässigen Zeugen auf wie in den vorherigen Prozessen. Ein Kronzeuge mit dem Codenamen Brown widersprach sich auch jetzt des Öfteren. Brown hatte vor einigen Jahren zugegeben, selber den Polizisten getreten zu haben, und will gesehen haben, wie Jacobs mit einer Machete auf Blakelock einschlug. Die Verteidigung wirft ihm vor, Jacobs zu belasten, um sich selbst und seinen Cousin zu entlasten.

„Gerechtigkeit für alle“

Das alles ist nicht nur Vergangenheitsbewältigung. Am Montag demonstrierten vor dem Old Bailey 30 Aktivisten der Organisation Tottenham Rights. Auf ihren Plakaten stand „Nick Jacobs ist unschuldig!“ Es müsse Gerechtigkeit für alle geben, sagte Sprecher Stafford Scott. Unter anderem nannte er Mark Duggan, ein Bewohner von Broadwater Farm, dessen Erschießung durch Polizisten im August 2011 schwere Unruhen auslöste.

Zu Wort bei der Kundgebung kam auch der ehemalige Kampagnenleiter der Familie von Stephen Lawrence – ein schwarzer Teenager, der 1993 von weißen Rassisten ermordet wurde, und bei dem es bis 2012 dauerte, um einige der Täter zu verurteilen. „Institutionellen Rassismus“ hatte eine Untersuchungskommission in diesem Fall der Londoner Polizei vorgeworfen.

Und just zum Beginn des Prozesses gegen Nicholas Jacobs wurde publik, dass die Lawrence-Familie jahrelang polizeilich bespitzelt wurde. Die Regierung will das jetzt ebenso untersuchen lassen wie Vorwürfe, wonach der Vater eines der Täter Polizeibeamte bestochen haben soll.

„Wir demonstrieren hier nicht nur für uns“, spricht Stafford Scott durch sein Megafon, „sondern damit dieses Land ein besserer und fairerer Ort für alle wird.“ Durch die Straße hallt der Spruch: „No Justice, No Peace!“. Eine Parole, in der sich auch die Familie Blakelock wiedererkennen könnte. Wenn die Gräben nicht so tief wären.

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