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Archiv-Artikel

Diese Musik ist ein Ersatzfrühling

POP Kitty Solaris hat ihr viertes und bisher bestes Album veröffentlicht. „We stop the dance“ ist wunderbarer Pop, steckt voller Reminiszenzen an die Jugend der Künstlerin und zeigt, wie man richtig zitiert

„Das ist einfach alles in mir drin“, sagt Kirsten Hahn. „Ich habe so viel Musik gehört in meinem Leben“

VON JENS UTHOFF

Mit dem Zitieren ist das so eine Sache. In der Politik kann man über mangelnde Zitierkenntnisse schon mal stolpern, und auch im Pop gelingt es nicht allen so gut wie Madonna, die Abba in „Hung up“ wiederauferstehen lässt, oder Blumfeld, die in „Verstärker“ so was von locker die Smiths eindeutschen.

Manchmal merkt man auch erst, dass man zitiert, während man schon zitiert. „Ich habe die Songzeilen zunächst unbewusst benutzt“, sagt Kirsten Hahn, „mir selbst ist das erst viel später aufgefallen.“ Hahn redet von ihrem Song „Take it easy“, in den elegant ein bekanntes Zitat der britischen 90er-Pop-Band EMF einfließt, mit ganz wunderbarem Gesumme als Präludium: „U-hu-hu-hu-hu-hu-hu / you’re unbelievable“, singt die Künstlerin da – da möchte man doch gleich in eine bessere Vergangenheit fliehen, auf dem Skateboard vielleicht.

Besser bekannt ist Kirsten Hahn, die uns diese Flucht ermöglicht, unter dem Namen Kitty Solaris. Die Berliner Singer-Songwriterin veröffentlicht in diesen Tagen ihr neues Album „We stop the dance“. Die elf Tracks bieten dabei eine gelungene bis großartige Melange aus Indiegitarren und Electronica. Das vierte Album der 43-Jährigen ist das Beste, Zeitgemäßeste bis dato. Locker, leicht und selbstverständlich wirken die Songs – und nicht ohne Grund erscheinen sie zum angeblichen Frühlingsanfang (auch das Cover kommt mit Tulpen und frischem, satten Grün recht frühlingshaft daher).

Kitty Solaris kompiliert gekonnt Versatzstücke aus ihrer eigenen Pop-Sozialisation – und das klingt auf „We stop the dance“ so, als geschehe es beiläufig. „Man entwirft so ein Album nicht am Reißbrett“, sagt Hahn, „das ist einfach alles in mir drin. Ich habe so viel Musik gehört in meinem Leben.“

So heißt dann eine Zeile im Refrain schon mal „The killer in you is the killer in me / I’m in love with a memory“ – der eine oder andere dürfte da nicht nur die Smashing Pumpkins im Ohr haben, von denen der erste Vers stammt, sondern die dazugehörige Liebschaft gleich mit. Hahn verfremdet die Melodien dabei, sodass sie nur entfernt an die Originale erinnern. Die Verfremdung und das beiläufige Einflechten von Versen sorgen dafür, dass man von gelungenem Zitieren sprechen kann und zu keinem Zeitpunkt das Gefühl hat, hier würden Ideen übernommen. Und in Songs wie „Flash and Thunder“ ist man sich wirklich nicht sicher, ob sie da nun Nirvana summt, nachdem sie fragt: „Oh / why do you feel so low?“

Hahn findet das Album „wahnsinnig poppig“, ist aber „happy damit“. Produktionen seien immer ein Abenteuer. Bei den Aufnahmen wurde der Pop-Anteil immer größer, während der Rock-Anteil langsam zurückgeschraubt wurde, erzählt sie. Dennoch brechen auch immer wieder verzerrte Gitarrensounds durch die poppige Oberfläche hindurch.

Die Songs schreibt Hahn selbst auf der Gitarre. Sie war und ist Autodidaktin, hat nur für eine kurze Zeit Gesangsunterricht genommen. Eine One-Woman-Band ist die Anfang der 90er aus Hessen nach Berlin gekommene Musikerin aber nur bedingt. Aufgenommen hat sie das Album gemeinsam mit Steffen Schlosser (zweite Gitarre und Schlagzeug) und Keyboarder und Beatbastler Nikola Jeremic. Mitproduziert hat Brio Taliaferro, der auch schon den Sugababes den richtigen Soundschliff gab. Zwischendurch habe man dann immer mal Besuch im Studio bekommen, erzählt Hahn beim Gespräch in einer Kneipe in Mitte – der Besuch war dann für Querflöten, Background-Vocals und Chöre zuständig.

Während die Songs auf den Vorgängeralben (zuletzt „Golden Future Paris“ 2011) noch überwiegend nach klassischen Gitarrenstücken klangen, scheint nun die Elektronik spielerischer ins Songwriting eingebunden. Im Titeltrack etwa hört man entspannte, tanzbare Klänge und einen geloopten Gitarrenlauf. Hahn webt es zu einem harmonischen Ganzen zusammen.

Die Bandchefin ist auch Labelchefin. Seit 2007 betreibt sie Solaris Empire – und organisiert mit der Lofi-Lounge zudem noch einen regelmäßigen Konzertabend im Schokoladen. Während manche das Ein-Frau-Unternehmen deswegen als vorbildliches Role-Model im Musikbusiness ansehen, sagt Kirsten Hahn: „Ich bin da so reingeraten. Nach dem Studium hatte ich erst mal nichts zu tun, so habe ich mich um meine Musik gekümmert und dann auch Platten von Freunden veröffentlicht.“

Lernen kann man aber von Kitty Solaris ganz sicher, wie man sich selbst treu bleibt und sein eigenes Ding durchzieht. Und auch von jugendlichem Enthusiasmus, den es zu bewahren gilt, erzählt das neue Album. „Aufbruchsstimmung, Offenheit und Neugier würde ich schon gerne mein Leben lang behalten“, sagt Hahn. So heißt es in „17“ eben auch „gonna feel like seventeen forever“. Mit einem Soundtrack von EMF bis zu den Smashing Pumpkins hat man da schon mal eine ganz gute Grundlage.

■ „We stop the dance“ ist bei Solaris Empire/Broken Silence erschienen. Live heute im Rosi’s, ab 20.30 Uhr. Das nächste Konzert in Berlin findet am 29. April im Schokoladen statt, Beginn 19 Uhr