Kommissionspräsident wird nicht gewählt: EU-Wähler werden getäuscht

Nicht der Wähler entscheidet wer EU-Kommissionspräsident wird, sagt der Europaexperte Lüder Gerken. Das bestimmen allein die Staatschefs.

Die Spitzenkandiaten im Fernsehduell: Martin Schulz (l.) und Jean-Claude Juncker. Bild: ap

FREIBURG dpa | Der Freiburger Wissenschaftler Lüder Gerken wirft den Spitzenkandidaten für die Europawahl und ihren Parteien Wählertäuschung vor. „Wenn jemand behauptet, der Spitzenkandidat der europäischen Parteienfamilie mit den meisten Wählerstimmen werde automatisch Kommissionspräsident, dann führt er die Wähler an der Nase herum“, sagte der Europaexperte und Direktor des Centrums für Europäische Politik (cep) am Dienstag in Freiburg.

Entscheiden würden alleine die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Mitgliedstaaten. Es sei nicht sicher, dass dabei einer der beiden Spitzenkandidaten, der konservative Jean-Claude Juncker oder der Sozialdemokrat Martin Schulz, zum Zuge kommt.

„Es werden die parteipolitischen Interessen und mehr noch die nationalen Interessen der Regierungschefs eine gewichtige Rolle spielen“, sagte Gerken. Das Ergebnis der Europawahl und damit die künftige Zusammensetzung des Europäischen Parlaments werde nicht entscheidend sein.

„Ich glaube nicht, dass sich die Staats- und Regierungschefs in ihren Verhandlungen vom Europäischen Parlament Vorgaben machen lassen.“ Das rechtliche Argument dafür liege auf der Hand: „Die Europäischen Verträge sehen keine Spitzenkandidaten vor.“

Vorbehalte gegen einen Deutschen

Der Luxemburger Juncker habe, sollten die Konservativen siegen, vermutlich größere Chancen, Kommissionspräsident zu werden, sagte Gerken. „Denn er kommt nicht aus einem großen, mächtigen Land, sondern aus einem kleinen.“ Zudem sei er kein Deutscher. „Gerade in den romanischen Ländern gibt es erhebliche Vorbehalte gegen einen Deutschen als Kommissionspräsidenten.“ Daran könne auch ein Sieg des SPD-Politikers Schulz bei der Europawahl nichts ändern.

Bestätigt werden müsse der künftige Kommissionspräsident vom Parlament. „Es wird sich zeigen, ob die Staats- und Regierungschefs diese Gefahr als so groß ansehen, dass sie vorab mit dem Parlament einen Konsenskandidaten aushandeln“, sagte Gerken. Dies sei aber unwahrscheinlich: Im Parlament fehle, zumal Martin Schulz derzeit Parlamentspräsident sei, dafür ein Ansprechpartner.

Das in Freiburg ansässige Centrum für Europäische Politik versteht sich als unabhängige „Denkfabrik“, deren Mitarbeiter Gesetzesvorhaben der Europäischen Union (EU) prüfen und bewerten. Das Kuratorium des Zentrums bilden Altbundespräsident Roman Herzog, der ehemalige Bundesbank-Chef Hans Tietmeyer, der frühere EU-Kommissar Frits Bolkestein sowie der polnische Finanzpolitiker Leszek Balcerowicz.

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