„Nicht dogmatisch denken – einfach helfen“

SYRIEN Der lange im Land tätige Jesuit Paolo Dall’Oglio erklärt, warum Waffenlieferungen an die syrischen Aufständischen richtig sind: „Damit sich die Menschen selbst schützen können und nicht gezwungen sind, sich die Waffen aus Al-Qaida-Kreisen zu besorgen“

■ Der italienische Jesuit, 58, lebte über 30 Jahre in Syrien, baute das Kloster Mar Musa auf und setzte sich für interreligiösen Dialog ein. Im Juni 2012 wurde er ausgewiesen. Mit dem neuen Hilfswerk Relief & Reconciliation setzt er sich für Versöhnungsarbeit ein.

INTERVIEW JANNIS HAGMANN

taz: Herr Dall’Oglio, Großbritannien und Frankreich wollen die syrischen Rebellen mit Waffen beliefern. Was halten Sie davon?

Paolo Dall’Oglio: Wir können nicht zusehen, wie ein ganzes Volk abgeschlachtet wird. Das syrische Regime erhält Hilfe von Russland, dem Iran, von Maliki (Iraks Premier, d. Red.) und Nasrallah (Libanons Hisbollah-Führer). Man muss den Menschen Waffen geben, damit sie sich selbst schützen können und nicht gezwungen sind, sich die Waffen aus Al-Qaida-Kreisen zu besorgen. Ein wenig demokratische Solidarität wäre schon ausreichend.

Deutschland zögert. Sollte es den Widerstand gegen Waffenlieferungen aufgeben?

Deutschland wird keine Waffen liefern. Dafür gibt es kulturelle und historische Gründe. Außerdem liegt es in der Mitte Europas und kann nicht direkt Spannungen mit Russland suchen. Ich verstehe die neutrale Position Deutschlands.

Wenn Sie Waffenlieferungen unterstützen, wäre es dann nicht konsequent, auch militärisch zu intervenieren?

Ich bin gegen eine Intervention. Dem Westen fehlt das kulturelle Verständnis dafür. Wir wissen nicht, wie man mit einer islamischen Gesellschaft umgeht. Das haben wir im Irak, in Somalia und Afghanistan gezeigt und zeigen es jetzt in Mali. Aber ich glaube an ein Eingreifen, um ethnische Säuberungen zu verhindern und die Bevölkerung zu beschützen. Um die verschiedenen Seiten auseinanderzuhalten. Man interveniert also nicht aktiv, aber hindert den Krieg daran, seine Logik bis zum Ende zu entfalten.

Mit Flugverbotszonen?

Flugverbotszonen sind ein Weg. Aber heute werden sie so verstanden wie in Libyen, als aktives Eingreifen. Flugverbotszonen waren aber zum Beispiel 1991 sehr effektiv, um die Kurden im Irak zu schützen. Saddam Hussein richtete damals schlimme Massaker an und die internationale Gemeinschaft, allen voran die USA, beschützte die Kurden. Wenn man nicht zu dogmatisch denkt, sondern einfach versucht, den Menschen zu helfen, erzielt man gute Ergebnisse. Wir müssen den Menschen in Syrien ermöglichen, wieder zu einem normalen Leben zurückzukehren. Wir haben es hier mit einem ganzen Land zu tun, das die Hoffnung verliert. Den Menschen muss geholfen werden.

■ Die EU-Außenminister beraten am Freitag und Samstag in Dublin, ob sie das EU-Waffenembargo gegen Syrien auslaufen lassen und damit Waffenlieferungen an die Rebellen ermöglichen. Das hatten vor einer Woche Großbritannien und Frankreich vorgeschlagen, Deutschland war dagegen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle zeigte sich nun kompromissbereit: „Wir wissen, dass wir bei einer veränderten Lage zu Veränderungen unserer Politik bereit sein müssen“, sagte er.

Macht es Ihnen keine Sorgen, dass mittlerweile die Islamisten das Sagen bei den syrischen Rebellen zu haben scheinen?

Das Gerede vom islamischen Terrorismus wird ständig wiederholt. Es ist eine Selffulfilling Prophecy. Der Westen hat uns alleingelassen. Das Ergebnis ist, dass wir niemanden mehr haben, der uns militärisch hilft – außer den Islamisten. Die gesamte Revolution ist mittlerweile islamisiert, auf symbolische Weise. Das heißt jedoch nicht, dass die Leute eine islamische Republik haben wollen. Die Symbolik des Dschihads ist die Symbolik unserer Revolution. Sogar die Christen in der Revolution rufen „Allahu Akbar“. Es ist der Schlachtruf unserer Revolution.

Sie klingen viel optimistischer als andere Christen aus Syrien. Der Patriarch der syrisch-katholischen Kirche zum Beispiel, Ignatius Joseph III. Younan, sieht in dem Bürgerkrieg einen konfessionellen Konflikt und hat Europa aufgefordert, die Opposition nicht weiter zu unterstützen. Er warnt vor einem Exodus der Christen aus Syrien.

Was soll ich dazu sagen? Wenn die Lösung für einige Christen lautet, unter einem faschistisch-diktatorischen Regime Schutz zu suchen, dann weiß ich auch nicht weiter. Die richtige Entscheidung haben diejenigen Christen getroffen, die sich entschlossen haben, an der Seite der Muslime zu bleiben. Das Gerede von verfolgten Christen wurde von christlichen Führern auf der ganzen Welt verbreitet. Aber es ist nicht wahr. Es gibt Christen, die als Teile der Armee und der Sicherheitsdienste angegriffen wurden, als Teile des Regimes. Sie wurden als Feinde des syrischen Volks behandelt, wie alle anderen auch.