Taktiker besiegt Taktiker

Der Hamburger SV besiegt Hertha BSC in einer spitzenspielwürdigen Begegnung mit 2:1 – dank der Qualitäten des Alt-Profis Stefan Beinlich und der Raffinesse von Trainer Thomas Doll. Indem er überraschend Emile Mpenza in die Startformation brachte, konnte dieser beide HSV-Tore einleiten

von René Martens

Der 16. August 2000 war ein besonderer Tag im Leben des Stefan Beinlich. Die deutsche Nationalmannschaft gewann gegen Spanien 4:1, wobei einem gewissen Raul kurz vor Schluss nur ein Ehrentor gelang, und der fußballerisch zuerst einst bei Bergmann-Borsig Berlin aufgefallene Mittelfeldmann war dabei, zumindest in den zweiten 45 Minuten. Es war Beinlichs fünftes und letztes Länderspiel.

Ginge es nach seinem derzeitigen Trainer Thomas Doll, war es sein vorerst letztes. „Verdient“ habe „Paule“ es allemal, in die Nationalelf berufen zu werden, zumal er ja „im Mittelfeld auf allen Positionen spielen“ könne, konstatierte der Coach, nachdem sein HSV sich einen 2:1-Erfolg gegen Hertha verdient hatte.

Beinlich hatte daran erheblichen Anteil: Er erzwang das letztlich vom Berliner Dick van Burik unglücklich vollendete 1:0 mit einem effektreichen Eckball und war dank seiner auch sonst raffinierten Standards eine permanente Bedrohung für seinen Exklub. Andere Qualitäten Beinlichs sind weniger spektakulär, wenn auch nicht weniger bedeutsam. „Wenn man sieht, wie viele Bälle er antizipiert“, schwärmte Doll. Der Mann mit der Rückennummer 22 sei der „Kopf der Mannschaft, an seiner Seite richten sich die jungen Spieler auf“.

Tatsächlich mag manches dafür sprechen, dass einer für Klinsmanns Elf aufläuft, wenn er der „Kopf“ jener Bundesligamannschaft ist, die derzeit effizienten und attraktiven Fußball am besten verbindet. Allein: Wenn Deutschland sich am 9. Juni mit Costa Rica duelliert, ist Beinlich bereits 34 Jahre alt.

Den Berlinern dagegen fehlte in Hamburg ihr Kopf: Der Brasilianer Marcelinho war 54 Minuten lang zwar physisch anwesend, fiel dabei aber nur zweimal auf: durch eine verbale und eine nonverbale Unbeherrschtheit, die ihm in der Summe eine Gelb-Rote einbrachte. Erst danach lief es bei den Berlinern, die schon acht Minuten mit 0:2 hinten gelegen hatten, viel besser – aber nicht allein deswegen, weil die Mannschaft sich ohne ihren schwierigen Künstler freier fühlte, wie manch ein Analytiker kurz nach dem Spiel befand, sondern aufgrund der profanen Tatsache, dass ein Team in Unterzahl oft einen Ruck durch sich gehen lässt.

Marcelinho habe sich „zwei Undiszipliniertheiten“ geleistet, die nicht entschuldbar seien, polterte Hertha-Trainer Falko Götz, jetzt könne man nicht einfach „zur Tagesordnung übergehen“. Da man Marcelinho in der Vergangenheit aber oft aus nichtigen Gründen – überbordender Nachtlebensfreude – ein paar Tausender abknöpfte, wird es den Star kaum beeindrucken, dass der Klub für eine Disziplinarstrafe jetzt bessere Argumente hat.

Wütend war auch Hertha-Manager – auf Schiedsrichter Markus Merk. Der hatte in der ersten Halbzeit perfekt gepfiffen und jede Eskalation der Härte im Ansatz unterbunden. In der zweiten Hälfte machte er viel falsch, im Gegensatz zu Hoeneß’ Interpretation benachteiligte er dabei aber keineswegs den Torschützen Yildiray Bastürk, der in der zweiten Halbzeit zwar stark, doch gewiss nicht „Weltklasse“ (Hoeneß) gespielt hatte.

Die Diskussionen um Marcelinho und Merk konnten ohnehin nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Sieg der Hamburger in diesem spitzenspielwürdigen Match auch ein Sieg des Taktikers Doll über den Taktiker Götz war. Auf den Umbau der Berliner Viererkette (Josip Simunic und Malik Fathi fehlten, statt dessen spielte Alexander Madlung, und Gilberto rückte nach hinten) hatte Doll reagiert, indem er überraschend Emile Mpenza in die Startformation beorderte und Sergej Barbarez im zentralen offensiven Mittelfeld agieren ließ. In seiner eigentlichen Stammposition war er aber in der Ära van der Vaart noch nicht zum Einsatz gekommen. Ausgerechnet Mpenza leitete die beiden HSV-Tore, wobei er einmal durch einen genialischen Barbarez-Pass auf die Reise geschickt wurde. Beide Male nutzte der schnelle Belgier das laut Götz „unglückliches Stellungsspiel“ der Berliner Innenverteidiger aus – die Basis für Beinlichs Eckball (2. Minute) und Mehdi Mahdavikias Elfmetertor (8.).

Mpenza hätte allerdings auch dafür sorgen können, dass der HSV bis zur 65. Minute 5:0 führt, versiebte er bis dahin doch drei klare Chancen. Dass die Hamburger ihre Personalproblemen – mit Raphael Wicky, David Jarolim und Rafael van der Vaart fehlte fast ein komplettes Mittelfeld – besser bewältigten als die Gäste, ist insofern bemerkenswert, als von Berliner Seite vorher angeklungen war, man sei in der Breite besser besetzt als der HSV. Der Unterschied ist auch von gewissem Belang, weil beide Klubs in den nächsten zehn Tagen – diese Woche im UEFA-Cup, kommende im DFB-Pokal – alles dafür tun wollen, 2006 noch in allen drei Wettbewerben vertreten zu sein. Die Berliner stehen dabei unter größerem Druck, weil man nun schon zwölf Punkte weniger hat als der HSV. Falko Götz ficht das nicht an: Hertha sei ja „bekannt“ für eine „gute Rückrunde“.