piwik no script img

Berlin ist die Riviera des Winters

Die Weihnachtsmärkte in Berlin locken Touristen aus dem europäischen Ausland an. Allen voran die Britinnen und Briten. Denn hier sei Weihnachten viel weihnachtlicher als auf der heimischen Insel

VON WALTRAUD SCHWAB

Berlin wird Touristenmagnet. Und das mitten im Winter. Denn die festlich geschmückte Stadt lockt Leute hierher, die sich Weihnachten als eine Art mitteleuropäischen Sehnsuchtskult vorstellen. Vor allem den Briten scheinen es der Lichterschmuck, die Weihnachtsmärkte, aber insbesondere der vorteilhafte Wechselkurs zwischen Pfund und Euro sowie die billigen Flugtickets angetan zu haben.

Für Dezember liegen noch keine Übernachtungszahlen vor, die als statistischer Gradmesser des Booms dienen. Dennoch bestätigt Natascha Kompatzki, Sprecherin der Berlin Tourismus Marketing GmbH, die Fortsetzung des Trends der ersten neun Monaten dieses Jahres.

Fast 450.000 Besucher und Besucherinnen aus Großbritannien und Irland nächtigten von Januar bis September in Berlin. Ein Anstieg um 21 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Sie führen die nach Nationalitäten unterteilte Liste der Berlin-Fans an. Auf Platz zwei und drei kommen Touristen und Touristinnen aus Italien und den Niederlanden. Bei den Gästen aus Spanien liegt die prozentuale Zunahme sogar bei fast 60 Prozent. Mit knapp 300.000 Übernachtungen nehmen sie die vierte Stelle in der Hitliste ein.

„Berlin ist für Briten und Britinnen mittlerweile die beliebteste Destination in Deutschland. Und zwar ganzjährig“, meint Linda Borchart von der deutschen Zentrale für Tourismus in London. „Die Weihnachtsmärkte sind bei ihnen beliebt.“ Das bestätigt auch der frierende Gendarm in seiner blau-roten Montur am Eingang zum Markt auf dem Gendarmenmarkt. Allenthalben werde Englisch, Spanisch und Italienisch gesprochen. Die Stimmung sei gut.

Das können die vier in Skianzüge gekleideten Britinnen – jede hat ihren Becher Glühwein in der Hand – nur bejahen. Einmal im Jahr lassen sie ihre Männer zu Hause und fliegen, „auf den Kontinent“, um dort Weihnachtsmärkte zu besuchen. Vorletztes Jahr waren sie in Nürnberg, letztes Jahr in Salzburg, jetzt ist Berlin dran. Obwohl sie gerade über ihre Ehemänner diskutierten, lassen sie sich gerne vom Thema abbringen. Der Weihnachtsmarkt sei „wunderbar“. So festlich wie die ganze Stadt. Dazu die tollen Geschenke. Und preiswert sei es auch. Sie lassen einen Blick in ihre Tüten werfen. Auch die Stadtrundfahrt habe sie beeindruckt. Dass hier überall die Spuren der Geschichte zu sehen seien, habe sie überrascht. Dass so viel im Krieg zerstört wurde, „wie bei uns in Coventry“. Der Gedanke, dass Krieg überall die gleichen Wunden schlagen kann, bewegt sie.

So tiefsinnig können die Schülerinnen aus der Nähe von Brighton die Dinge nicht sehen. Für sie sei es wunderbar, weil hier alles „more christmasy“ – weihnachtsmäßiger – sei. Bei ihnen in England sei das viel nüchterner. Ihre Einschätzung teilt auch der Brite, der früher beim Geheimdienst arbeitete, wie er freimütig gesteht. „Hier ist es mehr fürs Herz.“ Seit er pensioniert sei, suche er danach. Seine Frau nickt.

Tourismus ist in Berlin mittlerweile der stärkste Wirtschaftsfaktor wie die Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg mitteilt. Jährlich werden 6 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet. Die Kehrseite: Alle anderen Wirtschaftszweige sind so schwach, dass sich die Großstadt, die eine industrielle Vergangenheit hatte, wirtschaftlich nun an den Tourismus klammern muss. Die Kommerzialisierung dessen, was noch Geld bringt, könnte im Fall des Lockmittels Weihnachtsmarkt allerdings kontraproduktiv werden. Sie suchten das Traditionelle, sagen die vier Touristinnen aus Coventry. Der Markt am Ku’damm habe ihnen nicht gefallen. „Zu kommerziell.“ Zu „christmessy“ womöglich? Zu weihnachtssaumäßig?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen