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Archiv-Artikel

Fernsehen und schweigen

THEATER Zwei Jahre nach Fukushima entwirft die japanische Schauspielerin Ren Saibara ein Stück über das ruhige Verhalten nach der Katastrophe. „Das Schweigen“ im Theater Vierte Welt sucht Ursachen nicht in der japanischen Mentalität, sondern in den Medien

Im japanischen Fernsehen kann man, wenn man von Zeit zu Zeit den Sender wechselt, 24 Stunden am Stück Samurai-Dramen sehen

„Pflaumenblüte, Wind, Meeresrauschen, Cäsium 137.“ Die Begriffe, die in schneller Abfolge über den Bildschirm flackern, sind Fragmente der Erinnerung an eine Katastrophe: Am 11. März 2011 kam es in drei Reaktoren des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi nach schweren Erdbeben und dem Tsunami zur Kernschmelze.

Während die flimmernden Wortfetzen die Zuschauer verstören, verkriecht sich Ren Saibara unter einen selbst gebauten weißen Abstelltisch, das einzige Möbelstück auf der Bühne.

Die japanische Schauspielerin, die seit 2007 in Berlin lebt und arbeitet, ist die einzige Darstellerin in dem von ihr konzipierten Stück „Das Schweigen. Eine subjektive Untersuchung der Gründe zu schweigen“, das im Theaterraum „Vierte Welt“ in Berlin Kreuzberg Premiere hatte. „Ich war ganz zufällig Anfang März 2011 in Tokio zu Besuch. Trotz allem, was passiert war, fühlte ich mich sicher. Nur in direkter Umgebung des Atomkraftwerks sei es etwas gefährlich, hieß es in den japanischen Medien. Und auch diese Gefahr werde nicht von Dauer sein.“

Zurück in Deutschland erreichen Ren Saibara Nachrichten über Medienzensur, Entlassungen atomkritischer Wissenschaftler und Journalisten und über Zwangsrücksiedlungen in verstrahlte Gebiete. Sie beginnt an einer Gewissheit zu zweifeln, die sie bis dahin niemals in Frage gestellt hatte: „Ich hatte einfach Vertrauen in die japanischen AKWs und die staatlichen Maßnahmen im Katastrophenfall. Damit bin ich aufgewachsen.“

Im Westen wurde nach Fukushima viel über die Ruhe und Gelassenheit der japanischen Bevölkerung nach den Ereignissen berichtet. Doch warum schwiegen die Menschen? Ren Saibara sieht die Ursachen dafür nicht in der japanischen Mentalität oder in Shintoismus und Buddhismus begründet. Für die Schauspielerin und Stückentwicklerin wurde die japanische Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg über die Medien, und allen voran das Fernsehen, ruhiggestellt.

Wenn sich Saibara im Laufe ihrer rund einstündigen Performance nicht gerade überrascht von der Katastrophe unter den Tisch verkriecht, steht sie kommentierend vor einer großen Leinwand. Auf einer sehr gelungenen Computergrafik der Künstlerin Lea Nagano wechseln sich auf sechs Röhrenbildschirmen Bilder und kurze Filmsequenzen ab, die von verschiedenen Bereichen wachsender Fernsehmacht in Japan erzählen. Da ist zum Beispiel die Einspielung von Menschenmassen in Schwarz-Weiß. Für welche Sache gehen sie wohl auf die Straße?

Ren Saibaras trockener Text aus dem Off: „Das ist keine Demonstration. In den fünfziger Jahren versammelten sich die Menschen auf öffentlichen Plätzen, um gemeinsam Fernsehereignisse zu schauen.“ An anderer Stelle kommentiert sie die japanischen Schwertkämpfer, die im Film einsam durch die Wälder reiten, um ihre Gegner einen Kopf kürzer zu machen, mit den Worten: „Im japanischen Fernsehen kann man, wenn man von Zeit zu Zeit den Sender wechselt, 24 Stunden am Stück Samurai-Dramen sehen.“

Oft denkt man bei diesen Einspielungen und ihrer Einordnung an Theorien zur Macht der Kulturindustrie. Die Menschen plappern über nichtige Fernsehfantasieereignisse und verstummen, wenn es um gesellschaftliche Fragen geht. Wo ist unter dieser medialen Decke der Ausweg für politische Interventionen? Ren Saibara ist sicher, dass es ihn gibt. Heute gingen Menschen wieder auf die Straße, um zu demonstrieren. Und auch bei ihr selbst habe sich etwas bewegt: „Nach Fukushima will ich nicht mehr schweigen.“ JESSICA ZELLER

■ „Das Schweigen. Eine subjektive Untersuchung der Gründe zu schweigen“. Vierte Welt im Neuen Zentrum Kreuzberg, 1. OG, wieder 26. und 27. März, 20 Uhr