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Archiv-Artikel

Die EU-Ratspräsidentschaft will mehr Kalorien in den Tank

AGROTREIBSTOFF Dokument belegt Aufweichen der Beimischquote. Oxfam warnt vor Abholzung

BERLIN taz | Die EU plant offenbar, die Kriterien für die Beimischung von Agrosprit wieder aufzuweichen. Ursprünglich wollte die Kommission den Einsatz von sogenannten nahrungsmittelbasierten Biokraftstoffen – Getreide, Stärke, Pflanzenöle – auf 5 Prozent beschränken. Mit einem vom Europäischen Rat verfassten Dokument, dass der taz vorliegt, wird das nun kassiert: Die 5 Prozent sollen entweder nur auf Ölsaaten angewandt werden – oder deutlich angehoben werden.

Es geht um den Klimaschutz im Verkehrssektor und um die Debatte über „Teller oder Tank“: 2009 hatte die EU beschlossen, dass die Transport-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 10 Prozent sinken müssen. 8,6 Prozent davon wollten die EU-Staaten durch die Beimischung von Stärke zu Benzin oder Ölen zu Diesel „schaffen“. Stärke wird beispielsweise aus Getreide oder Zuckerrüben hergestellt, Öle etwa aus Raps oder der Frucht der Ölpalme.

Umwelt- und Entwicklungsverbände hatten die Pläne scharf kritisiert. Der Ernährungswissenschaftler Hans-Konrad Biesalski sprach von „verstecktem Hunger“: chronische Unterversorgung mit wichtigen Mikronährstoffen wie Vitamin A. Dieses ist etwa im Palmöl enthalten. Zunehmend wird dieses Öl in Ländern wie Vietnam oder Indonesien durch andere Stoffe ersetzt – um nach Europa exportiert werden zu können. „Vitamin-A-Mangel betrifft 200 bis 300 Millionen Menschen weltweit“, sagt Biesalski. Der Mangel führe zu Störungen des Immunsystems, in der Konsequenz zu mehr Todesfällen.

„42 Prozent der Pflanzen für Biodiesel werden importiert“, sagt Marita Wiggerthale, Expertin bei der Entwicklungsorganisation Oxfam. Für die Beimischung zu Benzin seien es 24 Prozent. „Rechnet man alle Faktoren ein, ist zudem der Beitrag zum Klimaschutz äußerst fraglich“, sagt Wiggerthale. So würden beispielsweise zwei Drittel der Expansion des Palmölanbaus in Indonesien mit der Abholzung von Regenwald erkauft, einem wichtigen Treibhausgas-Speicher.

„Ob die EU nun 5 oder 7 Prozent Beimischquote beschließt, ist für das Problem unerheblich“, sagt Frank Brüning vom Verband der Biokraftstoffindustrie: Die EU müsste andere Mittel nutzen, um den Regenwaldschutz durchzusetzen. „Brüssel verhandelt gerade mit Indonesien über ein Freihandelsabkommen: Der richtige Hebel für besseren Waldschutz, das muss im Abkommen festgeschrieben werden.“

Nach EU-Kommission und dem Rat wird sich ab April das EU-Parlament mit den Quoten befassen. Endgültig wird die Neuregelung wohl im Herbst beschlossen. NICK REIMER

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