: Ist ein Leben ohne Fluglärm denkbar?
LAUT Für die einen ist er Terror, für die anderen ein notwendiges Übel – aber vielleicht geht es auch ganz ohne Flugzeugkrach
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JA
Marela Bone-Winkel, 46, ist in der Bürgerinitiative „Keine Flugrouten über Berlin“
Natürlich ist ein Leben ohne Fluglärm denkbar. Wer sich mit gutem Grund dafür entscheidet, naturverbunden in unberührten Landschaften zu leben, wird aber eines schnell erkennen: Wie so oft im Leben kann man nicht alles gleichzeitig haben: absolute Ruhe und gleichzeitig hohe Mobilität. Dabei gehört die übergeordnete Frage, ob man überhaupt das Flugzeug als Fortbewegungsmittel braucht, wohl definitiv in die Vergangenheit. Heute ist es eine der gegebenen Rahmenbedingungen der globalisierten Welt. Die Möglichkeit, große Distanzen in immer kürzerer Zeit zurückzulegen, hat zudem etwas Verführerisches, seien berufliche Opportunitäten oder einfach nur das Fernweh der Grund. Fakt ist aber auch, dass Fluglärm trotzdem nicht demütig und unkritisch als Preis des Fortschritts hingenommen werden darf. Denn Lärm macht krank. Lärm, auch Fluglärm, wird eines der wichtigen Themen der Zukunft sein. Zentrale Fragen sind hierbei: Was kostet Lärm? Wie hoch sind beispielsweise die hierdurch bedingten Gesundheitskosten? Wie kann man Lärm vermeiden – sind sogenannte Umwege nicht die eigentlich besseren Wege, weil sie schädliche Auswirkungen und somit Kosten vermeiden? Wie kann man Lärm aktiv verringern – können zum Beispiel finanzielle Anreize für hierauf gerichtete Technologien geschaffen werden? Schlussendlich hängt die Antwort auf die Frage nach einem Leben ohne Fluglärm also davon ab, mit welchem Ergebnis die gesellschaftlichen Güter gegeneinander abgewogen werden. Unabdingbar für eine ehrliche und nachhaltige Antwort ist dabei, dass endlich Transparenz hinsichtlich der wahren Kosten des Fliegens hergestellt wird.
Henning Thole, 44, ist Arzt und Initiator des Arbeitskreises „Ärzte gegen Fluglärm“ Ganz ohne Fluglärm wird es nicht gehen – aber eben nicht so, wie es jetzt ist. Laut ist wirtschaftlich, so erscheint es. Das stimmt aber nicht. Wir Bürger zahlen über Krankenkassenbeiträge die Behandlung der Lärmkrankheiten. Die Fluggesellschaften zahlen davon nichts, bekommen sogar noch Subventionen. Die Bürger halten sich an die Nachtruhepflicht, die Fluggesellschaften kämpfen gegen das Nachtflugverbot. Geflogen wird vielfach abseits der genehmigten Routen, auch rund um die Uhr, mitten über die Städte hinweg. Die Bürger halten sich an Umwelt- und Tempo-30-Zonen, die Flieger bringen Lärm und Abgase direkt über uns. Richtig und gerecht sieht anders aus, finde ich. Weniger Fluglärm ist möglich: Fliegen strikt auf den Flugrouten, weg von besiedelten Gebieten, nicht nachts, leise Maschinen. Man kann mit weniger Fluglärm in den Urlaub kommen. Menschen sind wichtiger als Flugzeuge, denn Fluglärm macht krank.
Henriette Himmelreich, 53, selbst betroffen, hat die Frage per E-Mail beantwortet Ein Leben ohne Fluglärm wäre beziehungsweise ist wie ein schöner Sommerabend ohne Mücken. Habe ich gerade gehabt, drei Wochen auf einer Insel, der kleine Flughafen war 70 Kilometer weiter weg, wunderbar. Hier sitze ich in meinem Arbeitszimmer und die Scheiben klirren, wenn einer von der Startbahn West des Frankfurter Flughafens abhebt. Ist noch Einfachverglasung. Natürlich ist es denkbar, dass alle Kurzstreckenflüge – sagen wir bis 1.000 km – gestrichen werden, dass Kerosin versteuert und kein Murks mehr in Fliegern verschickt wird. Und man könnte noch Videokonferenzen einführen, flächendeckend, statt wissenschaftliche und andere Kongresse mit unendlich vielen Flugkilometern pro Teilnehmer abzuhalten. Dann gäbe es sehr viel weniger Flugverkehr. Und dann könnten wir auch Nachtruhe zwischen 21.20 Uhr und 6.30 Uhr haben, ausreichend schlafen, munter sein und die neue Landebahn schließen. Was wär das schön! Den kleinen Rest an Lärm – den könnten wir dann einfacher ertragen!
NEIN
Jörg Handwerg, 45, ist Vorstandsmitglied des Cockpit e.V. und seit 21 Jahren Pilot
Nein, jedenfalls nicht in Flughafennähe. Was „Lärm“ ist, ist individuell sehr verschieden. Wer es komplett ruhig will, muss abseits der Zivilisation wohnen. Man kann in industriellen Ballungszentren nicht erwarten, dass sich das Umfeld völlig an die eigenen Bedürfnisse anpasst. Der Luftverkehr ist für das wirtschaftliche Gemeinwohl, auch der Flughafengegner, wichtig. Nicht nur Fluglärm, sondern auch fehlender Wohlstand bringt Gesundheitsgefahren mit sich. Die Betreiber des Luftverkehrs sind bestrebt, den Lärm zu minimieren. Es gibt noch viel Potential. Ganz ohne Nebenwirkungen auf die Umwelt ist aber keine Aktion des Menschen. Es muss eine Abwägung zwischen den Vorteilen des Luftverkehrs und den negativen Auswirkungen geben und ein Kompromiss gefunden werden. Dazu gehört auch eine grundsätzliche Akzeptanz, dass es ohne Flugverkehr nicht geht. Der Blick über die Landesgrenzen hinaus ist unabdingbar, wenn Lösungen funktionieren sollen. Weitere lokale Beschränkungen überfordern das System. Verkürzt man die Betriebszeiten weiter, so führt dies nicht zu einer leichten Reduktion der Flüge, sondern das gesamte Geschäftsmodell kann nicht mehr funktionieren. Arbeitsplätze würden in Deutschland verloren gehen; der Standort Deutschland allgemein schlechter. Die Gesellschaft insgesamt verliert. Die Abhängigkeit von ausländischen Fluggesellschaften steigt.
Johann D. Wörner, 68, Deutsches Zentrum für Luft- und RaumfahrtNein! Aber die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten hat gezeigt, dass es gelingen kann, Fluglärmemissionen entscheidend zu senken. So sind heute schon nicht mehr die Triebwerke die Schallquelle Nummer eins. Es sind die umströmten Flächen, wie zum Beispiel die Fahrwerke. Neue aerodynamische Konfigurationen, neue Antriebskonzepte können in der Zukunft ein vielleicht fast lautloses Fliegen denkbar machen.
Klaus-Peter Siegloch, 66, ist Präsident der Deutschen LuftverkehrswirtschaftJeder von uns, wenn er von A nach B reist, macht Lärm. Ganz gleich, ob mit dem Auto, dem Zug oder mit dem Flugzeug. Die offizielle Lärmstatistik des Umweltbundesamtes zeigt: 15-mal so viele Deutsche sind von Straßen- und Schienenlärm betroffen wie von Fluglärm. Das ist aber kein Trost für die Menschen, die direkt in Einflugschneisen leben. Deshalb tun wir schon viel: Die deutschen Fluggesellschaften und Flughäfen investieren Milliarden in neue, leisere Flugzeuge und geben viele hundert Millionen Euro zum Beispiel für Schallschutz-Fenster aus. Und das hat Erfolg gebracht: In den regelmäßigen Umfragen des Bundesumweltministeriums ist die Zahl der Deutschen, die sich von Fluglärm betroffen fühlen, seit 2000 von 15 auf sechs Prozent zurückgegangen. Und wir arbeiten hart daran, dass es künftig noch weniger Betroffene gibt.
Peter Seelinger, 65, ist Mitglied im Verein zur Förderung der Luftfahrthistorie der PfalzIch war 50 Jahre lang bei Airbus in der Materialprüfung beschäftigt. In dieser Zeit hat sich die Bau- und Machart der Flugzeuge drastisch verändert. Die ersten Langstreckenflugzeuge in den 1960er Jahren wurden teilweise mit 24 Zylindern und 2.500 PS betrieben, hatten vier Motoren und dann noch Propeller. Dagegen haben wir heute schon regelrechte Flüstertriebwerke. Das größere Problem ist die Masse, also das hohe Verkehrsaufkommen insgesamt! Und was mich hier in der Pfalz besonders stört, ist der militärische Flugzeuglärm von tief fliegenden Düsenjägern. Dieser ist wirklich vollkommen unnötig und verzichtbar.