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Archiv-Artikel

Der Werfer wird geblockt

Die Stasi führte den früheren Handballer Hagen Boßdorf als IM „Werfer“. Heute kämpft der Journalist gegen die Aktenlage an

VON GEORG LÖWISCH

Am Dienstag um 22 Uhr hatten die Akten wieder einmal gesiegt. Der Verwaltungsrat des Norddeutschen Rundfunks beschloss, dass Hagen Boßdorf nicht Sportchef des Senders werden wird. Eine Beurteilung sei schwierig, teilte die Verwaltungsratsvorsitzende mit. „Da aber nicht alle Zweifel ausgeräumt werden konnten, ist die erforderliche Vertrauensbasis für eine künftige Zusammenarbeit leider nicht gegeben.“

taz-Sportredakteur, ORB-Chefredakteur, Tour-de-France-Reporter, ARD-Sportkoordinator – diese Stationen in seinem Leben werden künftig wenig zählen. Hagen Boßdorf, 41 Jahre alt, wird vor allem an einer Station gemessen werden. Stasi.

Es ist immer derselbe Fehler. Menschen, die mit der Stasi zu tun hatten, legen sich mit den Akten an. Sie wühlen in ihrer Erinnerung, versuchen, Bilder und Gespräche abzurufen, die Jahre zurückliegen, als das Land ein anderes war, als sie anders waren. Sie denken: Das ist die Aktenlage und so muss ich jetzt in der Öffentlichkeit darüber reden. Aber so ist es nicht. Die Akten leben.

Würde man alle DIN-A4-Seiten aus dem Stasi-Nachlass hintereinander arrangieren, ergäbe das eine 174 Kilometer lange Schlange. 70 Kilometer davon waren nach der Wende geordnet und verschlagwortet. Den Rest ordnen und verschlagworten die Mitarbeiter der Stasi-Unterlagen-Behörde. Sie machen sie lebendig. Nach und nach.

Als der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg 1993 Boßdorf überprüfen lässt, spuckt die Akten-Schlange nur eine Registrierung als Soldat beim Wachregiment des Geheimdienstes aus. Er selber hat seinem Intendanten mehr erzählt: Er habe während des Journalistikstudiums in Leipzig mit Stasi-Leuten gesprochen. 2002, vor seiner Berufung als ARD-Sportkoordinator geben die Akten eine Karteikarte her: Inoffizieller Mitarbeiter, IM. Boßdorf schreibt an die ARD-Intendanten, etwa dass er mit Geheimdienstlern über einen Briefwechsel mit zwei Göttinger Studentinnen gesprochen habe. Er gibt mehr zu, als beweisbar ist. Er ist den Akten einen Schritt voraus.

Doch jedes Jahr werden ein bis zwei neue Aktenkilometer fertig. Jetzt ist das, was Boßdorf 2002 zugegeben hat, weniger, als die Akten sagen. Die Welt hat eine Art Tabelle gemacht: „Boßdorfs Version 2002“ – „Aktenlage 2005“.

Er war Student an der Karl-Marx-Universität. Die Stasi wollte den 23 Jahre alten Journalistikstudenten als IM haben. Er sollte ein Werber werden, einer, der sich Ausländer daraufhin anschaut, ob sie als Spione der DDR infrage kommen. Und der sie später anwirbt. Universitätsmitarbeiter IM „Wallstein“ hatte Boßdorf „getippt“, so nannte das die Stasi. Boßdorf sei „unduldsam und kritisch gegenüber unserer Medienpolitik“. Aber er sei kontaktfreudig und alles in allem politisch geeignet.

Auf sechs Seiten hat Stasi-Leutnant Richter seinen Vorgesetzten unterbreitet, warum Boßdorf zum IM gemacht werden sollte. Dem Kandidaten sei die politische Einordnung des Ministeriums für Staatssicherheit klar, er betrachte dessen „Aufgaben nicht als Spitzelei oder Aushorchen“. Das Papier stammt vom 20. September 1988, die Maschinenschrift verschwimmt auf der alten Kopie. Angeheftet ist eine Erklärung, in der er sich verpflichten sollte. Er hat nicht unterschrieben.

Aber er traf regelmäßig Stasi-Offiziere, wurde in den Akten als IM geführt. „Florian Werfer“, nannten sie ihn, wohl weil er vom Handball kam. Er berichtete über seine Kontakte zu den Göttinger Studentinnen, die er 1988 in Leipzig kennen gelernt hatte. „Sie ist ca. 26 Jahre, adliger Herkunft, aus gutem Elternhaus, hat kurze Haare, eine kleine Brille, mittelgroß, schlank, gute frauliche Figur und ist insgesamt hübsch“, wird IM Werfer zitiert. In den Akten liegen persönliche Briefe der Frau. Sie schreibt über ihre Erlebnisse, ihre Familie, dass sie „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ lesen wird und einen Song gern hört, in dem „Drachen und Prinzen“ vorkommen.

Boßdorf hat vor einigen Tagen in einem Interview gesagt, er habe der Stasi seine Post nicht weitergereicht. „Sie hatte diese Briefe abgefangen.“ Allerdings hat die Stasi vier Briefe am selben Tag abgetippt, was nahe legt, dass es nach einem Treffen geschah. Unter einem Stasi-Bericht über den Brief einer anderen Studentin steht: „Der Brief lag beim Treff im Original vor.“

Vielleicht erinnert er sich wirklich nicht. Aber ein lückenhafte, eine zögerliche Darstellung hat keine Chance gegen das, was die Stasi aufgeschrieben hat.

Hagen Boßdorfs Anwalt hat nun eine Erklärung abgegeben. Sein Mandant werde gegen den NDR klagen. Er werde die Zweifel ausräumen. Mit „exakter inhaltlicher Vorbereitung“.