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Archiv-Artikel

SCHALLT ES ZERSTÖRERISCH LAUT AUS DEM DIGITALEN WALD? EINE GROSSE FRAGE, ABER VIEL ZU WENIG ZEIT ZUM NACHDENKEN Ping, ping, ping

Julia Seeliger

Das Internet ist ein gefährlicher Zeitfresser. Eigentlich sollte ich heute ein Buch abgeben, aber ich habe zu viel auf Twitter gelesen. Und den Internetnachrichten auch noch geglaubt!

Da twitterte wer „Die Vögel fallen tot von den Bäumen. Füttert sie! Sie mögen auch Äpfel mit braunen Stellen. Danke!“ Das habe ich natürlich nicht so richtig geglaubt, aber doch weitergeleitet, schaden kann’s ja auch nicht, hab ich mir gedacht. Zwar soll man Vögel ja eigentlich nicht füttern, aber eine kurze Google-Recherche brachte Nachrichten hervor, dass wegen des besonders harten Winters tatsächlich Vögel tot von den Bäumen fallen. Und ähnliche Gedanken hatte ich, als ich draußen Vögel erst zögerlich zwitschern und dann verstummen hörte.

Also nahm ich den Tweet zum Anlass, zwei Äpfel aus dem Fenster zu werfen. Obwohl ohne braune Stellen, zerplatzten sie am Boden – weiter passierte nichts. Keine kleinen Vögel, die sich sofort auf die kalorienreiche Nahrung stürzten. Nichts. Nur Schnee, der auf Äpfel fällt. Im Gebüsch zwitscherten die Vögel. Am nächsten Tag ging ich beschämt in den Hof und warf die fast völlig unangetasteten Apfelreste über den Zaun.

Wieder versagt. Nicht mal kleine Tiere kann ich glücklich machen.

Aber so was soll man ja nicht schreiben, denn alles, was man aufschreibt, ist passiert und passiert weiter. Vor allem im Internet!

Das ist nicht nur ein gefährlicher Zeitfresser, sondern auch ein Spiegel, der einem das zeigt, was man selbst schreibt und was die anderen schreiben. Text und Bilder verfolgen einen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag und dann ist man eben so, wie es sich im Internetgespräch gezeigt hat.

Einer sagte, er habe mich gegoogelt. Was ihm das gezeigt hat, verrate ich nun nicht, denn dann ist es ja wieder ein Stückchen mehr gesagt, als Diskurs geschrieben und somit Realität. Und diese gespiegelte Realität ist manchmal unerträglich.

Sollte man also nicht mehr ins Internet schreiben? Schallt es zerstörerisch laut aus dem digitalen Wald? Der digitale Wald, ist er die grüne Hölle? Zwitschert das Chaos, der Wahnsinn einen in den Abgrund? Wird im Netz eine zweite Person konstruiert, die anders ist als unser wahres Ich? Ist es möglich, frei zu sein von dieser Person, kann man sich von ihr emanzipieren?

Die FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Mittwoch Margarete Stokowski Luft und Liebe

Donnerstag Josef Winkler Wortklauberei

Freitag Jürn Kruse Fernsehen

Montag Kübra Gümüsay Das Tuch

Dienstag Deniz Yücel Besser

Große Fragen. Das Gehirn verändert sich durch das Internet nicht, sagte mir mal einer. Aber dennoch große Fragen, über die ich leider nicht nachdenken kann, weil ich die ganze Zeit twittern muss. Während ich diese Kolumne schreibe, habe ich sechs Tweets geschrieben und weitergeleitet. Immerhin schaffe ich es, diese Kolumne zu schreiben.

Und wieder ein Tweet! Ping, ping, ping rattert der Stream. Will man immer sichtbar sein und vergisst dabei zu leben? Zu lesen? Bücher zu lesen habe ich mir im Horrorjahr 2012 immerhin wieder beigebracht. Das Gehirn ist nicht kaputt und alles war für was gut. Ein Buch zu schreiben hat bislang zwar nicht geklappt. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Wie die kleinen Vögel. Sie sind viel robuster als gedacht.

Und ich auch.