: „Wir sind Trendsetter“
UNTERNEHMENSVERANTWORTUNG Veranstalter des „Forums Anders reisen“ haben sich diese bestätigen lassen
■ Geb. 1957 in Cali, Kolumbien, stellvertretende Geschäftsführerin der KATE-Kontaktstelle für Umwelt & Entwicklung in Stuttgart. Schwerpunktaktivitäten: Schulung von CSR-ManagerInnen zur Einführung von CSR-Prozessen in Unternehmen. www.kate-stuttgart.org
INTERVIEW EDITH KRESTA
taz: Frau Giraldo, Ihre Organisation KATE hat mit dem „Forum Anders reisen“, einem Unternehmensverband von rund 150 kleinen und mittleren Reiseveranstaltern und anderen Organisationen, den Leitfaden „CSR-Reporting im Tourismus“ entwickelt. Was steckt dahinter?
Angela Giraldo: Die Mitglieder des Forums Anders reisen hatte sich bei ihrem Zusammenschluss vor zwölf Jahren zu einem Kriterienkatalog mit sozialen und ökologischen Aspekten selbst verpflichtet. Aufgrund der Freiwilligkeit ist die soziale Unternehmensverantwortung jedoch sehr „weich“ geworden. Im professionellen Alltag geht sie schnell unter. Deshalb haben wir ihnen empfohlen, ein standardisiertes Berichtswesen für CSR und Nachhaltigkeit einzuführen. Damit können wir die Nachhaltigkeitsleistung eines touristischen Unternehmens messen und überprüfen. Bei unserem Berichtsystem geht es um Ganzheitlichkeit, alle Bestandteile der Wertschöpfungskette eines Reiseveranstalters inklusive der Geschäftsstelle werden durchleuchtet. Wir haben verschiedene Kriterien in messbare Indikatoren übersetzt.
Ihr Projekt, ein Siegel für „CSR-Reporting im Tourismus“ wurde mit EU-Geldern finanziert. Die Europäische Kommission definiert Corporate Social Responsibility (CSR) in ihrem Grünbuch von 2001 als „ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren“. Was sind konkrete Indikatoren?
Wie viele CO2-Emissionen verursacht eine Reise pro Tag und Gast? Wie viel Gramm Papier produziert ein Unternehmen pro Kunde? Welcher Teil des Reisepreises bleibt als lokale Wertschöpfung in der Urlaubsregion? In Nachhaltigkeitschecks für Leistungsträger wird auch gefragt, ob die Angestellten sozialversichert sind und die Hotels energieeffizient arbeiten. Eine von uns entwickelte Software erleichtert die Datenerhebung.
Das Siegel für Unternehmensverantwortung steht also nicht für ein einzelnes Produkt, sondern für die gesamte Nachhaltigkeitsleistung?
Eindeutig ja, es geht um das ganze Unternehmen und alle CSR-Berichte folgen der gleichen Struktur mit den gleichen Kennzahlen. Deshalb können wir in Zukunft, wenn wir mehr Erfahrungswerte gesammelt haben, auch die Nachhaltigkeit der Veranstalter vergleichen. Mindestwerte sind auch vorgesehen. Diese Analyse wurde in Zusammenarbeit mit Mitgliedern des Forums entwickelt. Das System entstand direkt aus der Praxis.
Ein Siegel nur für die Mitglieder des Forums Anders reisen?
Das Forum hat Priorität, denn so ein anspruchsvolles Nachhaltigkeitssiegel bringt ein Alleinstellungsmerkmal im Wettbewerb. Nach der ITB 2010 wird dieser Prozess auch für andere Veranstalter geöffnet, also für Nichtmitglieder des Forums. Einige mittlere bis größere Veranstalter haben schon Interesse signalisiert. Auch touristische Großkonzerne wie TUI, Thomas Cook und Rewe könnten den Prozess durchlaufen. Der Aufwand wäre natürlich größer, aber gerade diese Veranstalter mit ihren großen Stabsstellen, die schon ein Qualitäts- oder Umweltmanagement haben, besitzen die personellen und finanziellen Kapazitäten, um einen CSR-Prozess durchzuführen. Danach wären es allerdings ganz anders arbeitende Unternehmen.
Wie viele Mitglieder des Forums sind bereits zertifiziert?
Von den Forums-Mitgliedern werden bis zur Internationalen Tourismusbörse in Berlin, im März 2010 bereits vierzig Veranstalter zertifiziert sein. Und dieses Jahr werden weitere Veranstalter den Zertifizierungsprozess durchlaufen.
Das Siegel sagt aus, was die Veranstalter machen in Sachen Unternehmensverantwortung. Welche Rolle spielen die sozialen Aspekte dabei?
Sie sind wichtig, vor allem was die Destination betrifft. Egal wo die Reise hingeht, ob Fernreisen oder Reisen in andere Kulturen. Dort sind soziale Aspekte oft noch kaum geregelt. Es ist dann umso wichtiger, dass der Veranstalter die sozialen Aspekte wie Arbeitsbedingen, Bezahlung und soziale Leistungen besonders stark berücksichtigt.
Ist das nicht sehr schwierig?
Es ist schwierig, und es ist nie hundertprozentig. Es geht bei unserer Zertifizierung um erste Ansätze, wie man anhand von verschiedenen Kriterien die Nachhaltigkeit bei den Unternehmen messen kann. Wir haben verschiedene Kriterien ausgearbeitet, womit der Veranstalter prüfen kann, was er berücksichtigt, und dies wird bewertet. Es geht nicht darum, dass diese Kriterien alle eingehalten werden, aber es geht darum, dass diese Kriterien zunehmend berücksichtigt werden. Im Betriebsalltag wird man schnell betriebsblind. Die bewusste Reflexion über verschiedenste Kriterien gibt den Reiseveranstaltern die Möglichkeit zu sehen, wo stehe ich und wie gestalte ich mein Angebot immer nachhaltiger.
Honorieren das die Kunden?
Das versprechen sich die Veranstalter und wir auch. Wir suchen nach Möglichkeiten, wie wir das offensiv in die Öffentlichkeit bringen können. Und es ist klar, dass zumindest die Kunden des Forums Anders reisen Wert auf Nachhaltigkeit legen und dafür unter Umständen mehr bezahlen. Fast alle Veranstalter nennen sich heute gern nachhaltig. In Großunternehmen entstehen Nachhaltigkeitsberichte in den PR-Abteilungen. Meist erzählen die Unternehmen nur, was sie mit ihrem Geld für tolle soziale und ökologische Projekte machen. Wir sagen was tatsächlich darunter verstanden wird.
Spielt das im globalen Tourismusgeschäft überhaupt eine wesentliche Rolle?
Es ist eine Nische, aber eine stark expandierende. CSR-Reiseveranstalter sind Vorreiter und gleichzeitig Trendsetter. Die Wirtschaftskrise ist auch Resultat fehlender Verantwortung in den Unternehmen. Es ist die Pflicht eines Unternehmens verantwortlich zu wirtschaften. Wir helfen zu definieren, was das ist, und tragen dazu bei, dass immer mehr Unternehmen nachhaltig wirtschaften.