: Mangelndes Wissen wird systematisch ausgenutzt
ARBEIT Beratungsstelle Faire Mobilität will EU-Bürgern in Fragen des Arbeitsrechts helfen
Da ist zum Beispiel Agneta G. Sechs Monate hatte die Frau aus Polen in Berlin rund um die Uhr einen Pflegebedürftigen in dessen Familie betreut. Dafür bekam sie einen Abschlag von monatlich 500 Euro. Vereinbart waren mit der Arbeitsvermittlerin aber 2.000 Euro. Als sie am letzten Tag des Arbeitsverhältnisses den restlichen Lohn einforderte, wurde sie im Haus eingeschlossen. Da die Vermittlerin keine neue Pflegekraft geschickt hatte, sollte Agneta G. weiterarbeiten. Mithilfe der Polizei konnte sie das Haus der Pflegefamilie verlassen und ihre Heimreise antreten. Den ausstehenden Lohn hat sie allerdings bis heute nicht erhalten. Mit Unterstützung der Berliner Beratungsstelle Faire Mobilität (FM) hat sie eine Klage eingereicht.
Das Projekt wurde im Oktober 2011 mit Unterstützung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) ins Leben gerufen. In Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg und München haben die Beratungsstellen bereits im vergangenen Jahr die Arbeit aufgenommen, Stuttgart startete im Februar dieses Jahres.
„Überall da, wo wir die Büros eröffnet haben, saßen schon in den ersten Tagen Menschen, um uns ihre Probleme zu schildern“, berichtet Dominique John, der Berliner Leiter des Gesamtprojekts, das sich vor allem an Beschäftigte aus mittel- und osteuropäischen Ländern richtet. „Unsere Berater und Beraterinnen sprechen mindestens eine osteuropäische Sprache, dazu Englisch und Deutsch.“
Faire Mobilität grenzenlos
In einer im Rahmen des Projekts erstellen Expertise zum Thema „Grenzenlose Faire Mobilität“ heißt es: „Die Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit funktioniert in vielen Bereichen gut. In einigen Branchen dagegen, wie dem Baugewerbe, der Gebäudereinigung, der Schlachtindustrie, in den Pflegeberufen oder im Hotel- und Gaststättengewerbe, gibt es ein große Anzahl von Beschäftigten aus den mittel- und osteuropäischen Ländern, die aufgrund mangelnder Kenntnisse ihrer Rechte und einer geringen Verhandlungsmacht systematisch ausgenutzt werden.“
Oft haben die Betroffenen keine schriftlichen Verträge, sondern nur mündliche Vereinbarungen. Das erschwert die Durchsetzung ihrer Rechte. „Wir versuchen mit Verhandlungen und öffentlichen Druck die Forderungen der Beschäftigten durchzusetzen, um einen langwierigen juristischen Weg zu vermeiden“, sagt John.
Heimreise bezahlt
Doch das klappt nicht immer. So hätte ein Elektroausstatter für Großbaustellen Insolvenz angemeldet, nachdem circa 100 ungarische Beschäftigte ausstehende Löhne eingefordert hatten. Einigen der ArbeiterInnen hatte die Firma zu Weihnachten eine Heimreise bezahlt, um sie anschließend zu kündigen. „Ein durchaus gängiges Geschäftsmodell“, so John: „Den Leuten fehlen dann die Mittel und das Know-how, um nach Deutschland zurückzukehren und das ausstehende Geld einzuklagen.“
Einige der Betroffenen haben sich an die Berliner Beratungsstelle gewandt. In diesem Fall wird nun mit zuständigen Stellen der IG Metall und dem DGB-Rechtsschutz geklagt.
Obwohl die Beratungsstellen eigentlich für Beschäftigte aus mittel- und osteuropäischen Ländern zuständig ist, suchen immer wieder auch Arbeiter aus Spanien und Portugal Rat, beobachtet John. Sie versuchen, der wirtschaftlichen Krise in ihren Ländern zu entfliehen, und müssen nun in Deutschland um ihre Rechte kämpfen. PETER NOWAK