: Mit dem Team die Fans zurückgewonnen
Andreas Bergmann, Trainer des FC St. Pauli spricht über das bevorstehende Pokalmatch gegen Hertha BSC, seine langfristigen Ideen und kurzfristigen Erfolge mit dem Verein. Einem, der wie die Faust auf sein Auge passt und mit dem er ohne hektische Kraftakte in den Profifußball zurückkehren möchte
Interview: OKE GÖTTLICH
taz: Andreas Bergmann, vom Oddset- zum DFB-Pokal. Nach dem Spiel gegen Kreisligist Rantzau geht es am Mittwoch im Pokal-Achtelfinale gegen Bundesligist Hertha BSC Berlin. Eine gute Vorbereitung?
Andreas Bergmann: Wir haben den Berlinern nun ein Spiel auf rutschigem, schwerem Boden voraus.
Diesen Vorteil strapazieren derzeit viele Anhänger: eklige, rasenheizungslose Bodenverhältnisse am Millerntor und vorweihnachtlich lustlose Starkicker die den Drittligisten St. Pauli unterschätzen.
Ja, das sind die geläufigen Klischees, die gern genannt werden. Tatsächlich will Hertha aber unbedingt im eigenen Stadion das Pokalfinale bestreiten und die finanziell angespannte Situation durch Einnahmen im DFB-Pokal entspannen. Dennoch wird leidenschaftlicher Einsatz eine wichtige Rolle spielen und es bleibt abzuwarten wie die Herthaner Individualisten Marcelinho, Bastürk und wie sie alle heißen, damit zurechtkommen.
Wie soll das verhindert werden?
Wir haben kleine taktische Varianten eingeübt und alle Beteiligten arbeiten daran, dass dieses Spiel ein persönliches Highlight für alle von uns wird. Wann sind wir denn schon mal so weit im DFB-Pokal gekommen?
Naja, dreimal stand St. Pauli bisher sogar im Viertelfinale 1965/66, 1994/95 und 1996/97.
Das ist knapp zehn Jahre her und deshalb ist es wichtig für die Spieler, dass sie wissen, in diesem Moment kurzzeitig im bundesweiten Fokus zu stehen und sich beweisen zu können. Alle Gedanken sind auf dieses Spiel gebündelt, danach ist Winterpause und erst mal Schluss.
Reicht das, um einen Bundesligisten schlagen zu können?
Wir glauben an unsere Chance und hoffen ein wenig auf einen glücklichen Verlauf. Dann können wir am Millerntor mit diesen Fans viele Gegner ärgern.
Was macht Sie nach der abgelaufenen Hinserie in der Regionalliga zuversichtlich, überhaupt diese kleine Hoffnung in das Team zu setzen?
Dass die Mannschaft es geschafft hat, geschlossen aufzutreten. Es wird für den anderen gearbeitet und die Fehler eines Mitspielers nicht kommentiert. Das ist der Geist, den wir als Trainerteam versucht haben reinzubringen.
Dieser Geist scheint auch beim Publikum anzukommen.
Das ist die vielleicht größte Leistung des Teams: Die Identifikation zwischen Fußball und Fans wieder hergestellt zu haben. Durch die präsentierte Leidenschaft, durch die sich auch das Spiel verbesserte, hat die Mannschaft es geschafft, die Fans wieder für sich zu gewinnen.
Sie sprechen viel von psychologischen Faktoren. Geht es immer weniger um die Arbeit mit dem Ball?
Nein, als es in der Hinserie eine schlechte Phase gab, haben wir das Trainingspensum erhöht. Glücklicherweise war dies direkt mit Erfolg gepaart. Es hat aber allen gezeigt, wie leistungswillig die Mannschaft ist und was damit zu erreichen ist.
Aber es gab eine sehr kritische Phase nach der Niederlage gegen Kiel, in der auch Sie auf der Kippe standen.
Es war die typische St. Pauli-Hektik die da gegriffen hat. Immer wieder mussten alle erklären, weshalb es spielerisch nicht so läuft.
Und warum lief es nicht?
Ich habe immer gesagt, das man dieses Team entwickeln muss. Das Problem ist, dass man sich nicht durch die Öffentlichkeit runterziehen lassen darf. Denn dann nimmt man sich die Handlungsmöglichkeiten.
Womit wir wieder bei der Psychologie wären.
Ja, aber welche Alternativen habe ich denn als Spieler? Rumzumaulen und mich selbst runterziehen oder an mir weiterarbeiten und Chancen nutzen. Das ist in jedem Fall besser für die Entwicklung jedes Spielers wenn er, ganz egal ob mit oder ohne St. Pauli, weiterkommen will. Wir alle sind im Leistungssport und nicht in der Krabbelgruppe.
Kann ein Spieler denn mit St. Pauli weiterkommen und gar den Aufstieg zurück in den bezahlten Fußball schaffen?
Wenn nicht in dieser Stadt mit diesem Publikum und Potenzial, wo dann? Wir glauben an unsere Chance und planen zweigleisig.
Man überwintert aber auf dem ersten Nichtaufstiegsplatz.
Ich glaube, dass Kiel und Lübeck noch Probleme bekommen werden. Essen schätze ich sehr stark ein. Aber wichtiger ist, dass wir, selbst wenn uns der Aufstieg nicht gelingen sollte, etwas aufgebaut haben, dass künftig ein Gerüst sein kann. Wir wollen jetzt hoch, man darf es aber nicht mit aller Kraft forcieren, so dass anschließend der Kollaps kommt.
Eine Methodik, die bislang keine Stärke des FC St. Pauli gewesen ist...
Im sportlichen Bereich sicher nicht. Aber Holger Stanislawski, André Trulsen und ich versuchen auch eine sportliche Entwicklung wiederherzustellen. Solange nicht auf jede negative Situation hektisch reagiert wird, was häufig in Kraftakte und finanzielle Schwierigkeiten mündet, wird das auch was werden.
Das hört sich bescheiden und vernünftig an. Muss ein Trainer nicht auch Forderungen vortragen, wie aktuell zum Beispiel nach einem neuen Stürmer?
Nein, die Entwicklung eines Vereins geht vor kurzfristigen Erfolg, selbst wenn der Trainer immer der Erste ist, der im aktuellen Tagesgeschehen auf den Sack bekommt. Ich will, dass dieser Verein langfristig Erfolg hat. Er passt zu mir wie die Faust aufs Auge. Hier fühle ich mich wohl, kulturell und politisch.
Fühlen Sie Sich dann unverstanden, wenn schon am ersten Arbeitstag die Rentner auf dem Trainingsgelände „Bergmann raus“ skandieren?
Es war die schwierigste Situation in der ein Verein stecken kann, weshalb ich Verständnis aufgebracht habe. Es ging um den Abstieg in die Viertklassigkeit. Außerdem hatte ich keinen Namen und habe nicht wie viele Trainer hier immer eine große Welle gemacht und mit der Öffentlichkeit paktiert. Unverstanden fühlt man sich nur, wenn gerade mal trocken und kühl wahrgenommen wird, dass man es irgendwie noch geschafft hat, dieses Team damals vom Abstieg fern zu halten.
Kurz vor Weihnachten darf sich was gewünscht werden. Was darf es für Andreas Bergmann außer dem Aufstieg und einen Sieg gegen Hertha sein?
Das der Verein es noch mehr schafft seine Kräfte zu bündeln und alle gemeinsam den Verein in den Fokus rücken und nicht die eigene Person.