: „Leben im Rückspiegel“
ORIENTIERUNG Unser Leben ist mehr als nur eine Summe von Anekdoten: Biografiearbeit möchte dabei helfen, den „Lebensfaden“ zu entdecken
Warum passieren mir immer wieder das Gleiche? Wie konnte ich nur in diese Krise geraten? Wohin führt mein Weg? „Gerade Menschen im Alter zwischen Mitte dreißig und Mitte vierzig stehen auf einmal an einem Punkt, an dem sie sich fragen, wo ist eigentlich der rote Faden in meinem Leben?“, weiß Walter Seyffer. Der erfahrene Biografieberater begleitet Menschen, wenn sie in Zuständen innerer Unsicherheit und Zerrissenheit sind. Einige dieser Situationen könnte man neudeutsch auch als Midlife-Crisis bezeichnen.
Der 63-Jährige unterstützt Frauen und Männer dabei, ihren eigenen Lebensweg zu verstehen. Innerhalb von bis zu zwanzig Sitzungen erzählen seine Klienten ihre ganze Biografie. Und zwar komplett – von vorne bis hinten. „Bereits während dieses durchgehenden Erzählens entwickelt sich eine Eigendynamik. Ereignisse rücken in das Bewusstsein, die möglicherweise jahrelang weggeschoben worden sind“, sagt er. Doch beim bloßen Erzählen der Lebensgeschichte bleibt es nicht. Ziel der Biografiearbeit ist, dass der Mensch sich der eigenen Entwicklungen klar wird und sich weiterentwickelt.
Ganz deutlich sichtbar werden diese Entwicklungsstufen immer dann, wenn der Mensch Probleme hat oder in eine Krise gerät. Wenn es dem Betroffenen beispielsweise schwerfällt, Verantwortung für sein eigenes Leben zu übernehmen oder er an seinem Arbeitsplatz immer wieder in Konflikte gerät. „Da steckt etwas hinter. Nichts passiert zufällig“, sagt Seyffer.
Gespür für das eigene Thema, die eigene Mission zu bekommen, ist Sinn und Zweck seiner Arbeit mit Menschen. Und diese „eigene Mission“ hat jeder, sagt Seyffer und verweist dabei auf Joseph Campell und sein Buch „Die zwölf Stadien der Heldenreise“. Campells Ansatz bezieht Seyffer in seine Arbeit mit ein. Der amerikanische Professor Joseph Campell war bekannt für seine Forschungen auf dem Gebiet der Mythologie und klassifizierte die Taten eines „typischen Helden“ bis zur Erlösung in verschieden Stufen. „So hat auch jeder Mensch eine Art Aufgabe, Dinge in sich selbst zu erlösen“, erklärt Seyffer.
Seyffer bittet seine Klienten, ihr Leben als einen Fluss auf ein zwei Meter langes Papier zu malen. Einfach so aus der Intuition heraus. Am Ende der Biografiearbeit bittet er seine Klienten, ihr Leben erneut als Fluss zu malen. „Die Veränderung zu vorher ist immer sehr erstaunlich. Oft sind weniger dunkle Stellen – weniger Regenwolken zu sehen“, berichtet der Biografieberater.
Inzwischen haben sich die zunächst einzeln und verstreut tätigen Biografiearbeiter in der Berufsvereinigung Biografiearbeit auf Grundlage der Anthroposophie e. V. zusammengeschlossen und ihre Aufgabenfelder und Herangehensweisen schriftlich niedergelegt.
CONSTANZE BROELEMANN