piwik no script img

Archiv-Artikel

Schüler wollen sich das Gedenken nicht verbieten lassen

Krefelder Schüler sammeln Unterschriften für ein Bürgerbegehren. Sie wollen mit 20 „Stolpersteinen“ an NS-Opfer ihrer Stadt erinnern. Stadtrat und Jüdische Gemeinde lehnen ab

KREFELD taz ■ Ein Infostand auf dem Krefelder Neumarkt. SchülerInnen der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule sammeln Unterschriften für ein Bürgerbegehren. 7.200 Einwohner müssen zustimmen. Dann könnte das Geld, das die Jugendlichen über Monate gesammelt haben, doch noch für den dafür vorgesehenen Zweck benutzt werden. An diesem Tag unterschreiben über 1.800. Bis zum 3. Februar haben die SchülerInnen Zeit, damit ihr Bürgerbegehren erfolgreich ist.

Vor anderthalb Jahren begann alles mit einer Veranstaltung in der Gesamtschule, bei der der Kölner Künstler Gunter Demnig von seinem Projekt berichtete. Mit „Stolpersteinen“ möchte er an die Opfer der NS-Zeit erinnern, indem er vor ihrem letzten selbst gewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir einlässt. Bis heute hat Demnig über 5.500 Steine in 97 Orten verlegt und dafür das Bundesverdienstkreuz bekommen. Sowohl die GesamtschülerInnen wie auch SchülerInnen der Gerd-Jansen-Schule für Körperbehinderte waren von der Idee begeistert. Sie initiierten eine Spendenaktion. Von dem Erlös könnten nun 20 Steine in Krefeld verlegt werden. Aber am 3. November lehnte der Rat der Stadt ab, die Genehmigung zu erteilen.

Die CDU/FDP-Mehrheit konnte sich nicht mit dieser Form des Gedenkens anfreunden. Joachim C. Heitmann von der FDP schlug vor, eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen, wenn Hauseigentümer und Angehörige der zu gedenkenden Opfer sich einen „Stolperstein“ ausdrücklich wünschten. Dies empfand OB Gregor Kathstede als zu kompliziert. Er befürchtete Ärger mit den Hauseigentümern. Wer besitzt schon gern ein Haus, das vor knapp 70 Jahren den rechtmäßigen Eigentümern weggenommen wurde? Allerdings wurde dieses Argument in der Diskussion nicht offen geäußert. Entscheidend war letztlich die Meinung der Jüdischen Gemeinde Krefeld. Diese fand die Form des Gedenkens unpassend.

Tatsächlich, so berichtet Michael Gilad, 2. Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Krefeld, wurden in der Nazizeit Grabsteine von Jüdischen Friedhöfen als Gehwegplatten verwendet. Die Kunstaktion von Gunter Demnig erinnere in fataler Weise an jenen Missbrauch. Auch lüden die Stolpersteine, so Gilad, dazu ein, das Andenken der Holocaustopfer mit Füßen zu treten.

Thomas Hilger, Philosophielehrer an der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule, versteht die Einwände nicht. Zu allen Veranstaltungen wurde öffentlich eingeladen. Vertreter der Jüdischen Gemeinde hätten sich an der Diskussion beteiligen können. Zu zwei Jüdinnen aus Krefeld, die den Holocaust überlebten, hat seine Schule einen engen Kontakt. Ruth Frank überstand die Nazizeit in einem Versteck in der Eifel. Heute ist sie Mitinitiatorin des Bürgerbegehrens. Ilse Kassel überlebte das Arbeitslager. Sie schrieb der Jüdischen Gemeinde einen Brief, in dem sie beklagte, dass sie nicht um ihre Meinung gefragt wurde. Kassel: „Ich habe Hochachtung vor dem Anliegen der Schüler.“ LUTZ DEBUS