: Jobcenter müssen Terroristen jagen
Seit zwei Monaten bekommt Mohamed H. kein Arbeitslosengeld II mehr. Auf Nachfrage teilte ihm die zuständige Behörde mit, er sei ein so genannter Embargofall. Das bedeutet, dass sein Name auf einer UN-Liste mit terrorverdächtigen Personen steht
Von Alke Wierth
Der Scheck für sein Arbeitslosengeld II war nicht angekommen – deshalb suchte Mohamed H. am 4. November das für ihn zuständige Jobcenter in Neukölln auf. Die Erklärung, die ihm dort präsentiert wurde, ließ den jungen Mann aus allen Wolken fallen.
„Sie sind ein so genannter Embargofall. Das heißt, dass sich Ihre Daten in einer Liste, in welcher terroristenverdächtige Personen geführt werden, befinden“, steht in der schriftlichen Begründung, die auf Mohamed H.s Bitte von einer Sachbearbeiterin aufgesetzt wurde. Um welche Liste es sich handelt oder welcher Verdacht konkret gegen ihn besteht – darüber fehlt in dem Schreiben jede Information. Ebenso darüber, wie Mohamed H. gegen den Beschluss vorgehen kann.
„Ich habe erst gedacht, die veräppeln mich“, erzählt H. Wie bei „Vorsicht Kamera“ habe er sich gefühlt, als die Mitarbeiterin ihm von dem Beschluss und den Gründen dafür erzählte. Er finde es richtig, dass die Behörden gegen Terrorismus vorgehen. „Aber wenn sie einen Verdacht gegen mich haben, dann sollen sie mich vernehmen. Nicht das Geld sperren.“
Mohamed H. ist 25 Jahre alt. Er ist in Berlin geboren und deutscher Staatsbürger. Der junge Mann hat einen erweiterten Hauptschulabschluss. Er ist arbeitslos, seitdem er eine Lehre abbrach. H. wohnt bei seinen Eltern und muss deshalb nicht fürchten, durch den Bescheid des Jobcenters wohnungslos zu werden.
Probleme bereitet dieser ihm dennoch, denn Mohamed H. zahlt Schulden ab. Sie stammen teils aus unbezahlten Handyrechnungen, teils aus einer Strafe wegen Körperverletzung.
Auch sein Anwalt Christian Zimmer hält das Vorgehen des Jobcenters für inakzeptabel. „Jeder, der einer Straftat verdächtigt wird, hat doch ein Recht darauf, zu erfahren, was gegen ihn vorliegt.“ Sanktionen zu verhängen, Leistungen zu entziehen, ohne dem Betroffenen die entsprechende Rechtsgrundlage und Einspruchswege mitzuteilen – das sei nicht rechtsstaatlich.
Mohamed H. weist jede Verbindung zu Terroristen oder deren Unterstützern von sich. Dass sein Name auf einer Liste terrorverdächtiger Personen stehen soll, kann er sich nur mit einer Verwechslung erklären. Während der islamischen Fastenzeit im Oktober sei er mit seinem Vater einmal in der Neuköllner Al-Nur-Moschee gewesen. Deren Imam war im Frühjahr dieses Jahres die Wiedereinreise nach Deutschland nach einem Aufenthalt im Libanon verweigert worden. Er soll in Predigten gegen „Feinde des Islam“ gehetzt und „Gotteskrieger“ verherrlicht haben.
Dass ein einziger Besuch in der vom Verfassungsschutz beobachteten Moschee einen Terrorverdacht begründet, kann sich Dietmar Jarkow, Geschäftsführer des Jobcenters Neukölln, nicht vorstellen. Er berichtet von „wöchentlich zirka einem Embargofall“ in seinem Jobcenter (siehe Interview).
Das ist eine extrem hohe Zahl, denn nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg soll es bundesweit insgesamt 458 Überprüfungen seit Mitte des Jahres gegeben haben – bei Arbeitslosengeld-I- und -II-Empfängern zusammen.
Die Bundesagentur weist die örtlichen Jobcenter auf Embargo-Verdachtsfälle hin. Die Center informieren dann die betroffene Person. Normalerweise geschieht das mit einem Formbrief, der Hinweise auf die Rechtsgrundlage und auf Einspruchsmöglichkeiten enthält. Warum das im Fall von H. nicht passierte, konnte das Jobcenter Neukölln bisher nicht klären. Auch nicht, warum H. bereits seit mehr als zwei Monaten keine Leistungen bekommt. Gewöhnlich, so Dietmar Jarkow, sei die anschließende Überprüfung in wenigen Tagen abgeschlossen.
Mohamed H. hat sich mittlerweile mithilfe seines Anwalts an das Sozialgericht gewandt, um eine einstweilige Anordnung auf Zahlung und Akteneinsicht zu erwirken. „Denn selbst wenn sich der Verdacht gegen Herrn H. bestätigen würde, wofür es im Moment aber keinerlei Anhaltspunkte gibt, kann man ihn ja nicht einfach verhungern lassen“, sagt Anwalt Zimmer.